Wie viel sind 300 Watt? Energie ist für die meisten Leute eine abstrakte Grösse. Strom fliesst scheinbar einfach. Mit der temporären Energiekrise wächst aber das Bewusstsein dafür, wie wertvoll die Kraft aus der Steckdose ist.

Die RHS Innovation GmbH im thurgauischen Tägerwilen hat es sich zur Mission gemacht, das noch sichtbarer zu machen. Mit einem Generator in einem eigens gefertigten Velo und weiteren Geräten wird aus menschlicher Energie elektrische Energie. Das Ergebnis fliesst in Anwendungen wie eine Lichtsäule, eine Kaffeemaschine oder eine Carrera-Autorennbahn. Wer auf dem «Stromvelo» der Firma trampelt, sieht umgehend, welche Anstrengung es braucht, um genügend Energie zu produzieren.

Wert der Energie

Das Velo der besonderen Art sei als Nebengeschäft der Firma entstanden, sagt Jonathan Hanhart, Mitgründer der RHS Innovation. Das Ingenieurbüro, angesiedelt auf einem Bauernhof, entwickelt in erster Linie Produkte für Kunden in Bereichen wie Automation, Förderanlagen oder Medizin. 2021 bot sich die Möglichkeit, die Idee des Stromvelos von einer Winterthurer Firma zu übernehmen, die diese 2012 lanciert hatte.

Aber wer genau will in die Pedale treten? «Das Kundenspektrum ist breit», so Hanhart. Firmen setzen das Velo als Blickfang an Messen ein, und Events rund um die Nachhaltigkeit machen so Energieerzeugung fassbar. An Open Airs, Gewerbeausstellungen und im Rahmen nationaler Kampagnen kamen die kraftbetriebenen Generatoren auch schon zum Einsatz, und Schulen setzen sie im Unterricht ein. Und durch die Stromvelos wurde sogar der Weihnachtsbaum in der Zürcher Bahnhofhalle zum Leuchten gebracht. Mit dem Fussballer Xherdan Shaqiri und Ex-Bundesrätin Doris Leuthard traten auch Prominente schon in die Pedale.

Fünf der eigens entwickelten Velos stehen zur Miete bereit, dazu kommen «Stromböcke», auf denen sich normale Velos einspannen lassen, sowie Handkurbeln, mit denen der Generator betrieben wird. Das Konzept lautet in all diesen Fällen: «Wir machen Energie erlebbar.» Wer auf dem Velo schwitze und sehe, was es brauche, bis ein Ball in einer Kunststoffröhre aufsteige, entwickle ein Gefühl für den Energieverbrauch, sagt Hanhart. Schnell wird klar: Menschliche Kraft reicht nicht sehr weit. Wollte man eine Waschmaschine damit betreiben, bräuchte es sehr viele Leute. «Das ist im ersten Moment auch ein bisschen ernüchternd, zeigt aber eben den Wert der Energie.»

Die Zahl der möglichen Anwendungen steigt mit der Kreativität der Kunden. Angetrieben werden nicht nur die existierenden Produkte der RHS Innovation. Sie sucht auch Lösungen für Vorschläge ihrer Interessenten. Ein Kunde habe sich beispielsweise gewünscht, ein Outdoor-Kino auf diese Weise zu betreiben. Die freiwilligen Stromvelofahrer füllten eine grosse Powerbank, mit der danach der Beamer lief.

Kein missionarischer Fingerzeig

Das Interesse wächst laut Hanhart laufend. Die Zeiten sind günstig. «Green» ist zum geflügelten Wort geworden, die Rede ist von der «green economy» oder dem «green coffee». Veranstalter stehen heute unter dem Druck, sich ökologisch auszurichten, von den Anreisemöglichkeiten über die Verpflegung bis hin zum Geschirr. Das Umdenken der Gesellschaft brauche Zeit, so Hanhart, «doch einer der ersten Schritte ist die Aufklärung». Das Stromvelo sei nicht als missionarischer Fingerzeig zu verstehen. Es vermittle aufgrund der Gesetze der Physik einfach die Wahrheit rund um die Energieerzeugung.

Bleibt die Frage: Wie grün ist das Tretgerät selbst? Da sei man konsequent, sagt Jonathan Hanhart: «Das Stromvelo wird in der Schweiz aus nachhaltigen Materialien hergestellt.»