Weltwoche: Zuerst zur Frage der Fragen: Wie sind Sie zu Golf gekommen?

Hans Wicki: Mit Verzögerung. Golf hat mich von jeher fasziniert. Ich habe mir das immer gerne am Fernsehen angeschaut, mich aber nicht getraut, selber mit Spielen anzufangen. In den achtziger Jahren hatte ich als Student dazu einfach zu wenig Geld. Golf war damals teurer als heute.

Weltwoche: Sie waren lange also eher ein Golf-Theoretiker.

Wicki: Ja, denn nach dem Studium ging ich neben der Arbeit gleich in die Politik, als Gemeinderat, dann als Gemeindepräsident. Da ist man viel unterwegs. Wir hatten zwei kleine Kinder, und ich konnte zu Hause ja nicht gut sagen: «Ich bin im Monat zwar nur ein Wochenende bei meiner Familie, aber dann gehe ich golfen.» Man kann es auch provozieren, dass plötzlich der eigene Koffer vor der eigenen Türe steht.

Weltwoche: Aber irgendwann muss es dann doch gefunkt haben.

Wicki: Gefunkt ist das falsche Wort. Richtig zum Golf sind wir dann erst durch einen unglücklichen Schicksalsschlag gekommen. Wir sind eine sehr sportliche Familie. Meine Frau ist früher im Ski-Weltcup gefahren, wir waren also viel auf der Piste. Wir sind schliesslich Nidwaldner wie Marco Odermatt. Auch unser Töchterchen war eine begeisterte Skifahrerin. Auf einmal durfte sie nicht mehr.

Weltwoche: Wie das?

Wicki: Sie hatte ein Geburtsgebrechen, eine sehr seltene Krankheit, bei der die Stabilität der Knochen nicht optimal ist. Der Arzt riet ihr wegen Unfallgefahr ab, weiterhin Ski zu fahren. Dadurch fehlte uns etwas. Dann haben wir einen Familienrat gemacht.

Weltwoche: War der Entscheid einstimmig?

Wicki: Die Idee kam vom Sohn, der als Familiensport nun Golf vorschlug. Die ganze Familie ist für zwei Wochen nach Belek in die Türkei gefahren und hat dort mit einem Pro trainiert und gespielt. Allen hat es gefallen, und als wir zurück waren, hat meine Frau mit den Kindern die Golfklubs in der Nähe abgeklappert. Die Kinder haben sich dann für den Golfklub in Oberkirch entschieden. Dort haben wir alle die Platzreife gemacht.

Weltwoche: Wer ist heute der Beste in der Familie?

Wicki: Mit Abstand der Sohn. Der spielt vielleicht drei Mal im Jahr, dann aber jeweils locker eine 18. Wenn er wirklich spielen würde, wäre er längst Single-Handicapper. Meine Frau wiederum sagt, Golf sei gar kein richtiger Sport. Wenn wir nach einer Runde nach Hause fahren, geht sie erst mal joggen.

«Politik muss man spüren. Man muss spüren, woher der Wind weht und wann der Wind dreht.»Weltwoche: Warum spielen eigentlich so wenige Politiker Golf?

Wicki: Ich glaube, es spielen mehr Politiker Golf, als man meint, aber nur wenige Politiker sagen öffentlich, dass sie Golf spielen. Ich habe auch Kollegen in der Politik, die das lieber verbergen. Sie glauben vermutlich, ihre Wähler würden das für eine elitäre Sportart halten. Ich verstehe diese Haltung überhaupt nicht. Ich habe überhaupt kein Problem, wenn die Medien wissen, dass ich Golf spiele.

Weltwoche: Das beste Beispiel war Pascale Bruderer, die Nationalratspräsidentin aus der SP. Die hat vor ihren linken Wählern panisch versteckt, dass sie Golferin war.

Wicki: Ob Pascale eine Golferin ist, weiss ich nicht. Aber eine Verheimlichung finde ich lächerlich. Andere Sportarten sind ja auch nicht ganz billig, Skifahren etwa kostet inzwischen fast mehr als Golf. Ich glaube auch nicht mehr, dass Golf so etwas wie ein Imageproblem hat. Wir spielen inzwischen im Klub von Engelberg. Meine Kollegen da sind völlig normale Bürger aus unseren Tälern ringsherum, von Dünkel keine Spur.

Weltwoche: Gibt es diesen Golfklub des eidgenössischen Parlaments noch?

Wicki: Ja, den gibt es noch. Und seit kurzem bin ich der Präsident dieses Klubs.

Weltwoche: Wie viele Mitglieder haben Sie?

Wicki: Wenn wir spielen gehen, dann bin ich schon froh, wenn ich drei, vier zusammenbringe. Wir machen seit je zweimal im Jahr ein Turnier, jeweils in der dritten Woche der Sommer- und der Herbstsession. Aber das Turnier hat etwas an Attraktivität verloren. Es spielten immer mehr alt Parlamentarier, alt Botschafter und alt Richter. Es wurde zum Ausflug der Ehemaligen. Das möchte ich ändern.

Weltwoche: Dann müssen Sie halt einen Golfkurs für aktive Parlamentarier anbieten.

Wicki: Ich versuche, das Turnier nun neu aufzugleisen. Zuerst einmal nehmen wir uns einen vollen Tag, und dies ausserhalb der Sessionen, diesmal am 3. Juli. Wir haben ein Motto: «Wirtschaft, Politik und Sport trifft sich». Ich möchte nur VR-Präsidenten und CEOs, die Spitzen der grössten Sportverbände und dazu aktive Parlamentarier.

Weltwoche: Wo machen Sie das?

Wicki: Wir machen es zusammen mit Swiss Golf und Swiss Olympics. Wir haben im Golfklub Wylihof bei Solothurn reserviert. Natürlich brauchen wir auch etwas Prominenz. Ich habe von Nidwaldner zu Nidwaldner mal Marco Odermatt angefragt. Das sieht gut aus, und vielleicht nimmt er ja noch Roger Federer mit, dann würde es noch besser aussehen.

Weltwoche: Wenn Sie da auch mitspielen, welches Handicap haben Sie?

Wicki: 31. Aber das spiele ich locker.

«Ein Handicap hat man als Politiker, wenn man nicht arbeiten, sondern nur palavern will.»

Weltwoche: Sie sind also einer dieser gefürchteten Handicap-Schinder.

Wicki: Genau, so einer bin ich. Sagen wir es so: Im Durchschnitt des letzten Jahres habe ich etwa eine 27 oder 28 gespielt. Aber weil ich nicht allzu viele Turniere spiele, wirkt sich das nicht sehr aus.

Weltwoche: Machen wir mal einen Vergleich von Politik und Golf. Wann hat man ein Handicap in der Politik?

Wicki: Ein Handicap hat man als Politiker, wenn man nicht arbeiten, sondern nur palavern will. Das geht nur kurzfristig gut, weil man zwar als humorvoller Rhetoriker wahrgenommen wird, aber à la longue stürzt man damit ab. Ein Handicap ist auch, wenn du als Politiker eigenfokussiert bist und nicht zuhören kannst, was andere Meinungen sind. Und natürlich musst du ein Teamplayer sein, weil du am Schluss einen Konsens und eine Mehrheit brauchst.

Weltwoche: Braucht es das auf dem Golfplatz auch?

Wicki: Golf, anders als Politik, ist eine Einzelsportart. Hier bin ich nicht darauf angewiesen, dass es den andern gutgeht. Hier muss es mir gutgehen, wenn ich zum Beispiel ein Turnier spiele.

Weltwoche: Wie spielen Sie im Golf und wie in der Politik? Eher offensiv oder eher defensiv?

Wicki: In der Regel spiele ich Golf nicht im Stil von «no risk, no fun». Ich spiele eher mit kalkuliertem Risiko. Ich finde, Golf ist ein strategischer Sport. Als Golfer weiss ich, was ich kann, und ich weiss, was ich nicht kann. Ich versuche nicht, mit toller Männlichkeit so zu spielen, wie ich es in neun von zehn Fällen nicht kann.

Weltwoche: In der Politik haben Sie denselben Stil?

Wicki: Hier hängt es davon ab, um welches Geschäft es geht. Wenn ich etwas wirklich durchbringen will, Infrastrukturprojekte etwa, dann brauche ich eine vorsichtigere Strategie und dann agiere ich wie auf dem Platz mit kalkuliertem Risiko. Wenn es um emotionale Fragen geht wie Sozialpolitik, dann muss ich als Politiker viel lauter werden, wenn ich überhaupt gehört werden will.

Weltwoche: Was lernt man auf dem Golfplatz?

Wicki: Demut.

«Ich habe Kollegen in der Politik, die glauben, ihre Wähler würden Golf für eine elitäre Sportart halten.»Weltwoche: Das sagen alle.

Wicki: Aber es hat etwas. Demut heisst: Versuche nicht, grösser zu sein, als du bist. Und mache es so, wie du es kannst. Dann musst du auch akzeptieren, wenn du nicht besser bist, als du bist. Dann brauchst du nach einem schlechten Schlag nicht mit dem Schläger in den Boden zu hauen.

Weltwoche: Politiker hingegen haben nicht unbedingt den Ruf, besonders demütige Typen zu sein.

Wicki: Für gute Politiker gilt das nicht. Man muss respektvoll auftreten, und man muss immer argumentativ auf die anderen eingehen. Wenn ich als Gemeindepräsident ein Baugesuch ablehne, dann muss ich sehr detailliert erklären, wie dieser Entscheid zustande gekommen ist. Ich darf mich nicht einfach hinter dem Gesetz verstecken. Das nenne ich Demut und Respekt.

Weltwoche: Was ist in Golf und Politik wichtiger, ein hammerhafter Abschlag oder das Klein-Klein auf dem Green?

Wicki: Beim Golf ist es klar: Beim kurzen Spiel wird das Geld verdient. In der Politik ist es identisch. Ein erster guter Schuss heisst noch gar nichts. Ich mache zum Beispiel eine populäre Motion, alle sagen, wie famos dieser erste Schlag sei, und dennoch verliere ich später die Abstimmung darüber. Warum? Weil ich das kurze Spiel der Beziehungen in der Zwischenzeit vernachlässigt habe.

Weltwoche: Viele Golfer haben eine Phobie. Sie auch?

Wicki: Wer hat das nicht. In Engelberg haben wir zwei Löcher, bei denen man über den Bach spielen muss. Im Grunde keine Sache, es braucht nicht einmal einen langen Schlag. Und dennoch ist es unglaublich, wie viele Bälle in diesem Bach landen. Es ist eine reine Kopfsache.

Weltwoche: Was ist ein Wasserhindernis in der Politik?

Wicki: Es ist vergleichbar mit Golf. Ein Wasserhindernis in der Politik ist der sture Wille, etwas auf einen Schlag umsetzen zu wollen. Das wird nicht gelingen. Wenn ich als Regierungsrat ein Gesetzesprojekt schnell und schlagartig umsetzen will, dann wird das Parlament nicht mitziehen. Es will Zeit. Wenn ich dann trotzdem aufs Ganze gehe, landet mein Ball im Bach.

Weltwoche: Sie sind ja auch Unternehmer und Manager. Was ist der Unterschied zur Politik?

Wicki: Wenn ich als Politiker eine schwere Niederlage einstecke, geht die Welt nicht unter, genauso wenig wie die Welt untergeht, wenn ich auf dem Golfplatz deutlich verliere. In Unternehmen ist eine schwere Niederlage öfters existenziell. Der Umsatz bricht ein, es gibt Liquiditätsprobleme, und der Abgrund rückt nahe. Wenn die Politik schwere Fehler macht, steht man vielleicht zwanzig, dreissig Jahre später am Abgrund. In Unternehmen geht es enorm viel schneller. Das Risiko ist deutlich höher.

Weltwoche: Und wo der Abgrund noch schneller kommt, das wissen wir auch.

Wicki: Ja, aber auf der nächsten Runde sieht das wieder ganz anders aus. Hoffentlich.

Weltwoche: Golf kann man trainieren. Wie ist es in der Politik? Braucht es dort ebenfalls Training?

Wicki: Golf ist ein Sport. Mit viel Training kann man hier ein anständiges Niveau erreichen. Wäre ich mehr auf der Driving Range, wäre auch ich besser. Politik ist anders, hier hilft Training nicht viel. Politik muss man spüren. Man muss spüren, wann der richtige Zeitpunkt für eine Aktion ist, und spüren, woher der Wind weht und wann der Wind dreht. Das hat man, oder man hat es nicht.

Weltwoche: Was ist interessanter, ein Wahlkampf oder ein Golfturnier?

Wicki: Ein Golfturnier.

Weltwoche: Warum?

Wicki: Erstens dauert es weniger lang. Und am Abend weisst du genau, was das Resultat ist. In einem Wahlkampf weisst du drei Monate lang nie so genau, woran du bist. Und wenn du den Wahlkampf verlierst, bis du definitiv weg vom Fenster. Der Golfplatz aber macht am nächsten Morgen wieder auf.