Der 83-jährige Italiener Gianluigi Aponte und seine 78-jährige Schweizer Frau Rafaela Aponte-Diamant, die bei Genf wohnen, werden als die zurzeit reichsten Menschen der Schweiz eingeschätzt. Im Sommer dieses Jahres soll das Vermögen des Paars, dem etwa das grösste Containerschiff-Unternehmen der Welt, die Mediterranean Shipping Company (MSC), gehört, gut 31 Milliarden Franken betragen haben (Quelle: Forbes).

Als erster Offizier einer Fähre lernte er Ende der 1960er Jahre seine zukünftige Frau kennen.Die Grundlage, auf der diese Bewertung fusst, ist schwankend allerdings, wie ein Frachter auf schwerer See. Selbst gemessen an den für die Erstellung von Reichstenlisten geltenden Massstäben. Was damit zusammenhängt, dass es sich bei den Apontes um private Personen handelt, die zurückhaltend sind in der Verbreitung von Angaben zu ihrem privat gehaltenen Unternehmen. Zwei Zahlen immerhin werden von der Kommandobrücke genannt, «gerne» sogar, angeblich (Neue Zürcher Zeitung, NZZ): MSC hat im vergangenen Jahr den dänischen Konkurrenten A. ​P. Möller-Maersk als weltgrösste Container-Reederei überholt, die Flotte zählt 730 ​Schiffe, und diese können mehr als 4,8 ​Millionen Container befördern.

 

Danke, Pandemie

Daraus lässt sich mehr oder weniger genau auf die Einnahmen des Unternehmens schliessen. Wenn zudem die Änderungen der Preise für das Verschiffen von Containern miteinbezogen werden, ergibt sich ein dynamisches Bild, das in etwa die Vermögenslage der Besitzer wiedergibt. Der Preis für das Verschiffen schoss während der Pandemie von unter 5000 Dollar je Vierzig-Fuss-Container auf bis 15 000 Dollar hoch. Was mit der stark erhöhten Nachfragemenge von Gütern zusammenhing, die in ihren Häusern sowie Wohnungen festsitzende Menschen 2021 und 2022 bestellt hatten – Möbel, IT- und Fitnessgeräte et cetera – sowie auf dem Seeweg verschoben werden; inzwischen kostet die Verfrachtung eines Containers wieder weniger als 5000 ​Dollar. Deshalb schoss das Vermögen der Apontes in die Höhe, wenn auch unterschiedlich je nach Quelle (in der Bilanz zum Beispiel auf weniger als zwanzig Milliarden).

Gianluigi wuchs in Sorrent an der Bucht von Neapel auf, mit bloss fünf Jahren verlor er den Vater, der ein kleines Schifffahrtsunternehmen hatte. Bald wurde er Schiffsjunge, stieg rasch zum Marineoffizier und danach zum Kapitän bei der Reederei Achille Lauro auf. Am Arbeitsplatz – als erster Offizier einer Fähre, die zwischen Neapel und Capri verkehrte – lernte er Ende der 1960er Jahre seine zukünftige Frau kennen, sie war en route für Ferien auf der Insel.

«Seemanns Braut ist die See. Und nur ihr kann er treu sein», sang Hans Albers in «La Paloma». Mag sein. Aber wohl nicht in diesem Fall. Gianluigi und Rafaela heirateten, der Süditaliener ging von Bord und zog zu der Tochter eines israelischen Geschäftsmannes in Genf, wo er kurz als Händler arbeitete. Doch 1970 kauften er und sie mit geliehenem Geld ein kleines Frachtschiff. Es kamen weitere Schiffe dazu. Und weitere Kredite (die Firma finanziert sich noch immer über Fremdkapital, das Eigenkapital hält ausschliesslich das Ehepaar). Bis der Unternehmer zehn Jahre später erkannte: Die Zukunft gehört dem Container, jedenfalls die Zukunft des Seefrachtgeschäfts.

En passant und um seinem ehemaligen Arbeitgeber Achille Lauro, mittlerweile ein Freund, zu helfen sowie, vielleicht, weil’s glanzvoller ist, übernahm er in den 1990er Jahren dessen in Schwierigkeiten geratene Passagierschiffe (nach einer Entführung des Flaggschiffs gleichen Namens durch Terroristen sank der Ruf des Unternehmens auf den Boden des Meeres). Es wurde die Firma MSC Cruises daraus, heute die weltweit viertgrösste Kreuzfahrten-Anbieterin. Tätig in einer Branche, in der die Einnahmen recht ausgeglichen anfallen, wenn nicht gerade eine Pandemie das Geschäftsmodell zum Erliegen bringt. So weit, so eindrücklich.

Weniger Worte verliert der «Comandante», wie er im Haus genannt wird, über sein Geschäftsgebaren. Dafür muss man andere Quellen erschliessen. Begriffe, die Aussenstehende bezogen auf Aponte nennen, sind «risikobereit», «verhandlungsstark», «preisbewusst» oder «unnachgiebig». Keine Furcht vor Risiko zeigte der MSC-Chef etwa, als er eine Zeitlang einer der wenigen Reeder war, die Frachtschiffe nach Afrika und an Somalia vorbeischickten, obwohl dort mit Angriffen sowie Entführungen durch Piraten gerechnet werden musste. Oder er liess sich nie auf länger laufende Verträge ein, damit er frei war, Schwankungen der Frachttarife sofort auszunutzen («verhandlungsstark»). Eine Zeitlang spotteten Mitbewerber, MSC stehe für «maybe ship comes», das Schiff wird vielleicht kommen – weil er billige, dafür alte, unzuverlässige und umweltunfreundliche Kähne einsetzte.

 

Piraten und Kokainschmuggler

Heute zählt die Flotte, die den Ruf, unterdurchschnittlich gewartete Schiffe zu betreiben, inzwischen abarbeiten konnte, zu den zehn grössten Kohlendioxid-Erzeugern Europas – Fracht- und Kreuzfahrtschiffe stiessen im Jahr 2021 zusammen 33,8 Millionen Tonnen aus, oder fast gleichviel wie die gesamte Schweiz (34,4 ​Millionen Tonnen 2020), wie die Welt festhielt. Was die Aussenwahrnehmung ebenfalls nicht verbesserte: ein Fund von zwanzig Tonnen Kokain auf der MSC-«Gayane» durch Beamte der amerikanischen Zollbehörden. «Wie die Balkan-Drogenmafia die Genfer Reederei MSC infiltrierte», stand danach in Bloomberg Businessweek; im Artikel von 2019 wurde zwar darauf hingewiesen, dass jedes Schifffahrtsunternehmen, das Routen von Südamerika nach Europa betreibt, von Drogenhändlern ausgenutzt werden könne. Doch die MSC-Chefs verhielten sich in der Folge mehrheitlich abwehrend, bestritten etwa den behördlich ermittelten Sachverhalt, wonach das Kokain von Schnellbooten auf die ausgelaufene «Gayane» umgeladen worden sei. Was dem Unternehmen 700 ​Millionen Dollar erspart hätte – die Strafzahlung, die die amerikanische Behörde verlangte, weil MSC es den Schmugglern zu leicht gemacht habe.

Als «Käpt’n Gnadenlos» gar wurde Gianluigi Aponte im Manager Magazin beschrieben. Wie man es, etwas weniger voreingenommen vielleicht, ebenfalls hätte ausdrücken können: unermüdlich. Weder sein fortgeschrittenes Alter noch sein Erfolg / unfassbar hohes Vermögen haben ihn satt oder müde gemacht. Der «Comandante», der laut Untergebenen noch immer täglich von früh bis spät im Genfer Büro arbeitet und entscheidet, allein entscheidet angeblich, hat in jüngerer Vergangenheit diversifiziert, wie man sagt, das Unternehmen durch Firmenzukäufe breiter aufgestellt.

Vor rund einem Jahr kam die Übernahme der Hirslanden-Muttergesellschaft Mediclinic zustande, für über vier Milliarden Dollar – aufgebracht zusammen mit der Investmentfirma von Johann Rupert, dem südafrikanischen Unternehmer und Mehrheitsbesitzer der Genfer Luxusgruppe Richemont –, nachdem die Verantwortlichen des Spitalunternehmens sich erst dagegen gewehrt hatten. Ebenfalls 2022 erwarb MSC das Afrikageschäft des französischen Unternehmens Bolloré für mehr als sechs Milliarden, dabei handelt es sich zur Hauptsache um Häfen und andere Logistik-Grundeinrichtungen.

Weder sein fortgeschrittenes Alter noch sein unfassbares Vermögen haben ihn müde gemacht.Jüngster Deal der Firmengeschichte: der Kauf von 49,9 ​Prozent des Aktienkapitals von HHLA, der Betreibergesellschaft des Hamburger Hafens. Ein Handel, der Aponte ungefähr 600  Millionen Euro kostet. Falls er denn zustande kommt – der andere ausländische Logistikunternehmer in der Schweiz, der deutsche Klaus-Michael Kühne, 86 und umgerechnet 30,3 Milliarden Franken reich (Quelle: Forbes), nur unwesentlich «ärmer» als sein Widersacher also, möchte sich ebenfalls am Hafen seiner Heimatstadt beteiligen. In der NZZ wurden ein «öffentlicher Streit und möglicherweise auch ein Bieterwettkampf» beschrieben; bis zum Weltwoche-Redaktionsschluss wurde bekannt, dass Kühne den Hamburger Hafenbetreibern ein Modell vorschlagen wolle, das die Beteiligung von und Zusammenarbeit mit zwei aussenstehenden Firmen vorsieht; ein offizielles Gegenangebot hatte er aber noch nicht eingereicht.

 

Frisches Blut fliesst ins Unternehmen

Que serà, serà? Wie geht’s weiter? Nicht bloss in der Hamburger Hafensaga, sondern für die Mediterranean Shipping Company von Gianluigi Aponte und Rafaela Aponte-Diamant, 83 beziehungsweise 78 Jahre alt, im grossen Ganzen? Vorhersagen, die die Zukunft betreffen, sind schwierig. Davon abgesehen, eine Nachfolgeregelung steht. Diego Aponte, der 53-jährige Sohn, ist operativer Chef der Gruppe seit 2014; das Paar hat noch eine Tochter, Alexa, 51, sie ist die Finanzchefin. Und ihr Ehemann, Pierfrancesco Vago, 62, arbeitet als Chef der Kreuzfahrtschiffe mit im Unternehmen.

Eigenes respektive angeheiratetes, ziemlich frisches Blut, gemessen an den Firmengründern, fliesst im Unternehmen. Was mehr können sich die Alten wünschen? Wohl bloss, dass die Jungen vergleichbare Eigenschaften besitzen wie die, die sie zu Milliardären machten.