Der Weltklimarat ist alarmiert. Die Anstrengungen der Menschheit, die Erderwärmung zu begrenzen, würden nicht ausreichen, heisst es. Die 1,5-Grad-Grenze werde schon im nächsten Jahrzehnt überschritten. Die Klimazeitbombe ticke, warnt Uno-Generalsekretär António Guterres und fordert einen Quantensprung bei den Klimaschutzmassnahmen.

Das ist Wasser auf die Mühlen der Europäischen Zentralbank (EZB), deren prominente Vertreterinnen wie Präsidentin Christine Lagarde und Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel ein entschlossenes Engagement beim Klimaschutz versprochen haben. Dafür wurde auf Paragraf 127 des Vertrags zur Arbeitsweise der Europäischen Union verwiesen, der besagt, dass die EZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union unterstützt, soweit dies ohne Beeinträchtigung des Ziels der Preisstabilität möglich ist.

«Klimainflation», «Fossilinflation» . . .

Zwar hat der starke Anstieg der Inflation seit Mitte 2021 dazu beigetragen, dass sich die EZB wieder stärker dem primären Ziel der Preisstabilität zugewandt hat. Doch könnte eine erneute Finanzkrise dazu führen, dass die EZB die Zinsen senkt und den Ankauf von Vermögenswerten wiederaufnimmt. Dann dürfte die von der EU forcierte Umwelt- und Klimapolitik auch wieder stärker in den Fokus der EZB rücken.

Die EZB ist dafür bestens vorbereitet. Isabel Schnabel hat betont, dass für die EZB das Prinzip der Marktneutralität nicht mehr gelten solle, nach welchem die Geldpolitik möglichst keinen Marktakteur begünstigt. Vielmehr sollte die EZB nach dem Prinzip der Markteffizienz agieren und Klima- und Umweltrisiken bei ihren geldpolitischen Entscheidungen miteinbeziehen. Schnabel hat zudem vielfach die Begriffe «Klimainflation» (ein durch extreme Wetterlagen erzeugter Preisanstieg), «Fossilinflation» (Inflation, die durch den Ausstieg aus fossilen Energieträgern entsteht) und «Grünflation» (Inflation, die temporär durch den ökologischen Umbau der Wirtschaft verursacht wird) benutzt. Will sie so darauf einstimmen, dass sie bald über eine von Klimamassnahmen erzeugte Inflation hinwegsehen wird?

Konkret hat die EZB letzten Herbst mit Verweis auf die EU-Klimaziele angekündigt, ihren Bestand von Unternehmensanleihen in Höhe von knapp 390 Milliarden Euro zu «dekarbonisieren». Der Bestand an Anleihen von Unternehmen mit geringem CO2-Ausstoss soll auf Kosten von Unternehmen mit grossem CO2-Ausstoss erhöht werden, um die «Klimaleistung» zu honorieren. Schon denkt Schnabel darüber nach, ob eines Tages auch eine Dekarbonisierung der Staatsanleihen möglich sei, welche die EZB derzeit im Umfang von 4000 Milliarden Euro hält.

Zwar sind die Ankaufprogramme APP und PEPP mit der steigenden Inflation zunächst zum Stillstand gekommen. Doch würde eine Wiederaufnahme der Kaufprogramme – zum Beispiel im Zuge einer Finanzkrise – einen neuen grünen Gestaltungsspielraum geben.

In ihrer Rolle als Bankenaufsicht hat die EZB einen Leitfaden für Klima- und Umweltrisiken erarbeitet, in dem sie ihre Erwartungen bezüglich der Offenlegung und des Managements von Klimarisiken formuliert. Auf der Grundlage der EU-Eigenkapitalrichtlinien drängt die EZB die Banken, Informationen zur Nachhaltigkeit der von ihnen finanzierten Investitionen bereitzustellen. Sie hat bereits einen ersten Klimastresstest durchgeführt. EZB-Direktor Frank Elderson hat daraufhin gefordert, dass die Banken von den Kunden noch mehr Informationen einholen sollen, um ihre Klimarisiken richtig zu messen.

Die deutlich vorangeschrittene «Vergrünung» der Geldpolitik ist Teil des Green Deal.Die bereits deutlich vorangeschrittene «Vergrünung» der Geldpolitik und der Bankenaufsicht der EZB fügt sich nahtlos in die Taxonomie der EU ein, die ein Klassifizierungssystem umweltverträglicher Wirtschaftstätigkeiten ist. Sie ist Teil des Green Deal, mit dem die EU unter anderem den Klimawandel bekämpfen, Umweltverschmutzung reduzieren und die Biodiversität schützen will. Da der Finanzierungsbedarf für diese Ziele hoch ist, will die EU viel privates Kapital mobilisieren.

Deshalb sollen ab dem 1. Januar 2024 (zunächst) knapp 50 000 grosse und mittlere Unternehmen über die Auswirkungen des eigenen Geschäftsbetriebs auf Menschen und Umwelt berichten. Die anvisierten European Sustainability Reporting Standards sehen derzeit 1144 Angabepflichten innerhalb von 84 Berichtsanforderungen vor. Die Banken sollen ihre Kredite nach Umwelt- und Klimakriterien klassifizieren sowie den Anteil der Taxonomie-konformen Bilanzpositionen offenlegen (Green Asset Ratio). Die Taxonomie soll perspektivisch auch auf Kredite für mittlere und kleine Unternehmen ausgeweitet werden.

Grüne und soziale Ziele

Die Taxonomie verändert damit das Modell der Kapitalallokation in der EU. Diese war traditionell darauf ausgerichtet, dass die Banken die Investitionsprojekte mit den höchsten erwarteten Renditen finanzierten. Das zog Produktivitätsgewinne und Wachstum nach sich. Doch mit der Taxonomie könnte bald die Kreditvergabe zentral von der Europäischen Kommission gelenkt werden, wobei Nachhaltigkeitsziele immer weiter in den Vordergrund treten dürften.

Die EZB könnte für diese Strategie nicht nur im Rahmen der Bankenaufsicht und im Zuge neuer Anleihekaufprogramme eine zentrale Rolle spielen. Sie könnte auch mit einer grünen Kreditvergabepolitik helfen, die Pläne der EU zu erfüllen. Das Vorbild für solche Kredite könnten die «Gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte» (GLRG oder in Englisch TLTROs) sein, mit denen die EZB seit 2014 den Banken Vorzugszinsen in Höhe von bis zu minus 1 Prozent gewährte, wenn sie die Kredite der EZB an Unternehmen und Haushalte weiterreichten. Die Geschäftsbanken erhielten also Subventionen, wenn sie den Vorgaben der EZB folgten.

Die Non-Profit-Organisation Positive Money, die mit Hilfe des Geld- und Bankensystems eine faire, demokratische und nachhaltige Wirtschaft erreichen will, fordert TLTROs für grüne und soziale Ziele. Banken sollen sich zu einem regulären Zinssatz Geld von der EZB leihen und erhalten Rabatt auf die Zinszahlungen, wenn sie Taxonomie-konforme Investitionen finanzieren. Die Einhaltung der Taxonomie soll von den Banken dokumentiert und von der EZB geprüft werden. EZB-Ratsmitglied Isabel Schnabel nimmt in Reden explizit Bezug auf diesen Vorschlag, auch wenn sie noch Hindernisse bei der Umsetzung sieht. Zudem erwägt sie grüne Konditionen bei der Hinterlegung von Sicherheiten für Kredite von der EZB.

Zurückhaltung der Nationalbank

Der Nachteil der grünen TLTROs in Kombination mit der Taxonomie dürfte sein, dass bei einer zentralgesteuerten Kreditvergabe dem Lobbyismus und der Bürokratie Tür und Tor geöffnet werden. Die europäische Wirtschaft wäre nicht mehr im Einklang mit dem in den europäischen Verträgen verankerten «Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb, wodurch ein effizienter Einsatz der Ressourcen gefördert wird» (Paragraf 127 AEUV). Fehlinvestitionen sind wahrscheinlich, und die Renditen der Investitionsprojekte dürften weiter sinken. Die Produktivitätsgewinne und das Wachstum würden weiter gebremst.

Damit stellt sich die Frage, ob auch andere Zentralbanken im Licht der Weltklimaberichte der EZB folgen werden. Der Präsident der amerikanischen Zentralbank Fed, Jerome Powell, hat jüngst klargestellt, dass die Fed ohne entsprechenden Beschluss des Kongresses kein Mandat für den Klimaschutz habe. Die Fed solle sich darauf beschränken, im Rahmen ihrer Rolle in der Finanzmarktaufsicht, die Banken zu einem ausreichenden Verständnis der Klimarisiken zu verpflichten.

Die EU-Bürger müssen sich auf einschneidende Kaufkraftverluste einstellen.Der Schweizer Nationalbankpräsident Thomas Jordan erkennt die Wichtigkeit des Themas an, sieht aber die Verantwortung nicht bei der Geldpolitik. Zwar müsse die SNB Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur im Hinblick auf ihren Einfluss auf die Inflation berücksichtigen. Das Mandat der Zentralbank dürfte aber nicht überfrachtet werden. Sonst würden unnötige Zielkonflikte geschaffen und die Unabhängigkeit der Zentralbank gefährdet.

Die Schweiz kann damit hoffen, dass ihr die grüne geldpolitische Planwirtschaft der EU und die damit verbundene Inflation erspart bleiben. Die EU-Bürger müssen sich hingegen auf einschneidende Kaufkraftverluste einstellen, ohne dass eine umwelt- und klimafreundliche Ressourcen-Allokation sichergestellt ist.