Wenn manche Zeitgenossen sich dieser Tage unwohl fühlen, könnte es daran liegen, dass zum Beispiel politische Umgangsformen immer weiter im Rückzug begriffen sind. Die Ampel-Regierung schneidert sich ein Wahlrecht, bei dem ein Blinder merkt, dass es geradezu lustvoll kleinere Parteien, besonders die CSU, benachteiligt. Früher hätte man das schicklich in den Details versteckt, heute gibt die Macht sich gänzlich ungeniert.

Das neue Gesetz über die Finanzierung der parteinahen Stiftungen ist so dreist und direkt gegen die AfD gerichtet und hat noch eine kleine FDP-Schlupflücke, dass es den Autoren die Schamesröte ins Gesicht treiben müsste.

Und auch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe müht sich redlich, seinen bislang noch ganz passablen Ruf als unabhängige Schiedsinstanz zu ruinieren. Würde es in jedem normalen Straf- oder Zivilprozess Befangenheitsanträge hageln, wenn sich die Richter zum Plausch mit einer Prozesspartei beim Essen träfen, so haben die Karlsruher Höchstrichter es zur schönen Tradition werden lassen, sich regelmässig mit der Bundesregierung zum Austausch in zwangloser Runde zu versammeln und ihr danach wieder in aller Unbefangenheit auf die Finger zu klopfen.

Nun gibt es kein förmliches Kontaktverbot zwischen Verfassungsorganen, und bei Gelegenheit von hohen Feiertagen treffen sich die Spitzen von Regierung, Verfassungsgericht, Bundestag und Bundesrat ohnehin und können sich gegebenenfalls austauschen. Nach den peinlichen Erfahrungen des Jahres 2022 aber, als der langjährige Vertraute von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und vormalige Unionsfraktionsvize Stephan Harbarth (CDU) als Präsident des Bundesverfassungsgerichts über die von Merkel verfügte Rückabwicklung der Thüringen-Wahl urteilen sollte, hätten Menschen mit intaktem Gespür den «bösen Schein» vermieden und das jährliche Beisammensein vielleicht mal ausfallen lassen. Nicht so Harbarth und seine (Selbst-)Gerechten.

Und um dem Tanz in den Image-Untergang noch einen draufzusetzen, urteilten die Verfassungsrichter bei Befangenheitsanträgen mit Blick auf die Bundesregierung auch noch über sich selbst und attestierten sich völlige Unbefangenheit. Der diesjährige Ringelpiez mit der Macht fand übrigens eine Woche vor dem Schiedsspruch zu den Haushaltstricksereien der Ampel statt, mit denen sie liegengebliebene und zweckgebundene 60 Milliarden Euro aus einem Corona-Fonds fürs Klima umgewidmet haben.

Ein Schelm, wer Gemauschel hinter solchen Treffen wähnt. So was würden Politik und Richter ja nie tun. Vertrauen ist gut, ein Gespür dafür, dass man es gar nicht erst in Anspruch nimmt, wäre besser.

Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein neues Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen.

Die 3 Top-Kommentare zu "Richter und Regierungsmitglieder treffen sich zum Abendessen. Oder: Wenn sich das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe redlich müht, seinen Ruf als unabhängige Instanz zu ruinieren"
  • Alpensturm

    Vielleicht sollten die Deutschen sich zuerst eine Verfassung geben, bevor sie sich ein Verfassungsgericht geben.

  • karlheinz.carol

    Du erkennst die Gesinnung der Richter nicht am Parteilabel sondern an ihrer Rechtsprechung. Wie heißt es doch so schön schon in der Bibel? "An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen." Die Früchte von Richtern sind ihre Urteile.

  • Buecherwurm

    Dreiteilung der Gewalt, eine Fiktion, die sich immer mehr ad absurdum führt. Die Executive ist de fakto = Legislative, das eine geht in Deutschland nicht ohne das Andere. Die obersten Richter werden ernannt. Vielleicht sollten die Deutschen Richter und/oder Rechtsprofessores aus Ihrer Mitte die Mitglieder des Verfassungsgerichtes wählen, Voraussetzung ein Lehrstuhl für Recht. Die Executive wird getrennt von der Legislative vom Volk gewählt.