Jeffrey D. Sachs, Ökonomie-Professor an der Columbia University, hielt vor dem Uno-Sicherheitsrat eine hochinteressante Rede rund um die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines. Wir dokumentieren sie ĂŒbersetzt und in voller LĂ€nge. Die Redaktion.

Mein Name ist Jeffrey D. Sachs. Ich bin UniversitĂ€tsprofessor an der Columbia University. Ich bin Spezialist fĂŒr die Weltwirtschaft, einschliesslich Welthandel, Finanzen, Infrastruktur und wirtschaftliche StaatsfĂŒhrung. Ich trete vor dem Uno-Sicherheitsrat in meinem eigenen Namen auf. Ich vertrete bei meiner Aussage keine Regierung oder Organisation.

Die Zerstörung der Nord-Stream-Pipelines am 26. September 2022 ist ein Akt des internationalen Terrorismus und stellt eine Bedrohung des Friedens dar. Es liegt in der Verantwortung des Uno-Sicherheitsrates, sich mit der Frage zu befassen, wer die Tat begangen haben könnte, um den TĂ€ter vor die internationale Justiz zu stellen, eine EntschĂ€digung fĂŒr die GeschĂ€digten anzustreben und kĂŒnftige derartige Aktionen zu verhindern.

Die Folgen der Zerstörung von Nord Stream 2 sind enorm. Dazu gehören nicht nur die enormen wirtschaftlichen Verluste im Zusammenhang mit den Pipelines selbst und ihrer kĂŒnftigen Nutzung, sondern auch die erhöhte Bedrohung fĂŒr grenzĂŒberschreitende Infrastrukturen aller Art: Untersee-Internetkabel, internationale Pipelines fĂŒr Gas und Wasserstoff, grenzĂŒberschreitende StromĂŒbertragung, Offshore-Windparks und vieles mehr.

Die globale Umstellung auf grĂŒne Energie wird erhebliche grenzĂŒberschreitende Infrastrukturen erfordern, auch in internationalen GewĂ€ssern. Die LĂ€nder mĂŒssen darauf vertrauen können, dass ihre Infrastruktur nicht von Dritten zerstört wird. Einige europĂ€ische LĂ€nder haben kĂŒrzlich ihre Besorgnis ĂŒber die Sicherheit ihrer Offshore-Infrastruktur zum Ausdruck gebracht.

Aus all diesen GrĂŒnden hat die Untersuchung der Explosionen in der Nord-Stream-Pipeline durch den Uno-Sicherheitsrat eine hohe globale PrioritĂ€t.

Die Zerstörung der Nord-Stream-Pipelines erforderte ein sehr hohes Mass an Planung, Fachwissen und technologischer KapazitÀt. Die Nord-Stream-2-Pipelines sind ein Wunderwerk der Technik (siehe zum Beispiel hier und hier). Jeder Rohrabschnitt besteht aus 4,5 cm dickem Walzstahl und hat einen Innendurchmesser von 1,15 m. Das Rohr ist mit 10,9 cm dickem Beton ummantelt. Das Gewicht eines jeden betonummantelten Rohrabschnitts betrÀgt 24 Tonnen. Die Nord-Stream-2-Pipelines mit einer LÀnge von rund 1200 Kilometern enthalten etwa 200.000 Rohre. Die Pipelines liegen auf dem Meeresboden.

Die Zerstörung einer Pipeline aus schwerem Walzstahl, die von Beton ummantelt ist, in einer Tiefe von 70 bis 90 Metern erfordert hochentwickelte Technologien fĂŒr den Transport des Sprengstoffs, das Tauchen zur Installation des Sprengstoffs und die Sprengung. Dass dies unentdeckt in den ausschliesslichen Wirtschaftszonen DĂ€nemarks und Schwedens geschieht, macht die Operation noch komplexer. Wie mehrere hochrangige Beamte bestĂ€tigt haben, muss eine derartige Aktion von einem staatlichen Akteur durchgefĂŒhrt worden sein.

Nur eine Handvoll staatlicher Akteure verfĂŒgt sowohl ĂŒber die technischen KapazitĂ€ten als auch ĂŒber den Zugang zur Ostsee, um diese Aktion durchfĂŒhren zu können. Dazu gehören Russland, die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich, Polen, Norwegen, Deutschland, DĂ€nemark und Schweden, entweder einzeln oder in einer gewissen Kombination. Die Ukraine verfĂŒgt nicht ĂŒber die erforderlichen Technologien und den Zugang zur Ostsee.

Aus einem kĂŒrzlich erschienenen Bericht der Washington Post geht hervor, dass die Geheimdienste der Nato-Staaten zu dem Schluss gekommen sind, dass es keinerlei Beweise dafĂŒr gibt, dass Russland diese Aktion durchgefĂŒhrt hat. Dies deckt sich auch mit der Tatsache, dass Russland kein offensichtliches Motiv hatte, diesen Terrorakt gegen seine eigene kritische Infrastruktur zu verĂŒben. In der Tat wird Russland wahrscheinlich erhebliche Kosten fĂŒr die Reparatur der Pipelines tragen mĂŒssen.

Berichten zufolge haben drei LĂ€nder Ermittlungen zum Nord-Stream-Terroranschlag durchgefĂŒhrt: DĂ€nemark, Deutschland und Schweden. Vermutlich wissen diese LĂ€nder viel ĂŒber die UmstĂ€nde des Terroranschlags. Vor allem Schweden hat der Welt vielleicht am meisten ĂŒber den Tatort zu berichten, den seine Taucher untersucht haben. Doch anstatt diese Informationen weltweit zu teilen, hat Schweden die Ergebnisse seiner Ermittlungen vor dem Rest der Welt geheim gehalten. Schweden hat sich geweigert, seine Ergebnisse mit Russland zu teilen, und hat eine gemeinsame Untersuchung mit DĂ€nemark und Deutschland abgelehnt. Im Interesse des Weltfriedens sollte der Uno-Sicherheitsrat diese LĂ€nder auffordern, die Ergebnisse ihrer Untersuchungen unverzĂŒglich dem Uno-Sicherheitsrat zu ĂŒbermitteln.

Bisher gibt es nur einen detaillierten Bericht ĂŒber die Zerstörung von Nord Stream, der kĂŒrzlich von dem EnthĂŒllungsjournalisten Seymour Hersh vorgelegt wurde und angeblich auf Informationen beruht, die Hersh von einer ungenannten Quelle zugespielt wurden. Hersh fĂŒhrt die Zerstörung von Nord Stream auf eine Anordnung von US-PrĂ€sident Joe Biden zurĂŒck, die von US-Agenten in einer verdeckten Operation durchgefĂŒhrt wurde, die Hersh detailliert beschreibt.

Das Weisse Haus bezeichnete Hershs Darstellung als «komplett und völlig falsch», bot jedoch keine Informationen an, die Hershs Darstellung widersprechen, und bot auch keine alternative ErklÀrung an.

Hochrangige US-Beamte gaben vor und nach der Zerstörung von Nord Stream ErklĂ€rungen ab, die die Abneigung der USA gegenĂŒber den Pipelines deutlich machten. Am 27. Januar 2022 twitterte die UnterstaatssekretĂ€rin Victoria Nuland: «Wenn Russland in die Ukraine einmarschiert, wird Nord Stream 2 so oder so nicht vorankommen.» Am 7. Februar 2022 sagte PrĂ€sident Biden: «Wenn Russland wieder einmarschiert, wird es Nord Stream 2 nicht mehr geben. Wir werden dem ein Ende setzen.» Auf die Frage des Reporters, wie er das machen wĂŒrde, antwortete er: «Ich verspreche Ihnen, dass wir es schaffen werden.»

Am 30. September 2022, unmittelbar nach dem Terroranschlag auf die Pipeline, erklĂ€rte Aussenminister Antony Blinken, dass die Zerstörung der Pipeline «auch eine enorme Chance ist. Es ist eine enorme Chance, die AbhĂ€ngigkeit von russischer Energie ein fĂŒr alle Mal zu beenden und damit Wladimir Putin die Waffe der Energie als Mittel zur Durchsetzung seiner imperialen PlĂ€ne zu entziehen.»

Am 28. Januar 2023 erklĂ€rte UnterstaatssekretĂ€rin Nuland gegenĂŒber Senator Ted Cruz: «Ich bin, und ich denke, die Regierung ist es auch, sehr erfreut zu wissen, dass Nord Stream 2 jetzt, wie Sie sagen, ein Haufen Metall auf dem Meeresgrund ist.»

Eine solche Sprache ist angesichts des internationalen Terrorismus ĂŒberhaupt nicht angebracht. Ich hoffe, dass die USA zusammen mit allen anderen Mitgliedern des Sicherheitsrates diesen abscheulichen Akt des internationalen Terrorismus verurteilen und sich gemeinsam fĂŒr eine dringende Untersuchung dieses internationalen Verbrechens unter der Leitung des Uno-Sicherheitsrates einsetzen werden, um die Wahrheit herauszufinden. Die Welt kennt die Wahrheit noch nicht, aber sie ist zu erfahren.

Mehr denn je ist die Welt darauf angewiesen, dass der Uno-Sicherheitsrat seine Arbeit tut, um die Entstehung eines neuen Weltkriegs zu verhindern. Die Welt wird nur dann sicher sein, wenn die stĂ€ndigen Mitglieder diplomatisch zusammenarbeiten, um globale Krisen zu lösen, einschliesslich des Krieges in der Ukraine und der wachsenden Spannungen in Ostasien. Der Uno-Sicherheitsrat bietet den einzigartigen globalen Rahmen fĂŒr diese friedensstiftende Arbeit. Mehr denn je brauchen wir einen gesunden, funktionierenden Uno-Sicherheitsrat, der die ihm in der Uno-Charta zugewiesene Aufgabe erfĂŒllt.

Eine objektive Untersuchung des Nord-Stream-Terroranschlags durch den Uno-Sicherheitsrat, bei der alle LĂ€nder ihr Wissen einbringen, ist wichtig fĂŒr das weltweite Vertrauen in dieses Gremium und, was am wichtigsten ist, fĂŒr den globalen Frieden und die nachhaltige Entwicklung.

Die 3 Top-Kommentare zu "US-Professor Jeffrey D. Sachs: «Im Interesse des Weltfriedens sollte der Uno-Sicherheitsrat DĂ€nemark, Deutschland und Schweden auffordern, die Ergebnisse ihrer Nord-Stream-Untersuchungen unverzĂŒglich dem Uno-Sicherheitsrat zu ĂŒbermitteln»"
  • Da wĂ€r noch was

    Der deutsche Bundeskanzler Scholz und die Aussenministerin Baerbock haben in MĂŒnchen die HĂ€nde von Verantwortlichen aller Staaten, ausser Russland, die fĂŒr diesen schlimmsten Kriegsakt gegen Deutschland seit 1945 in Frage kommen, geschĂŒttelt und sich ganz entspannt mit ihnen unterhalten, offenbar nur darauf konzentriert Russland endlich, primĂ€r auf Kosten der Ukraine und der EU, filetieren zu können. - Den beiden scheint das jedenfalls egal zu sein, das eine ihrer Lebensader zerstört wurde.

  • Stefan Christen

    Es ist absolut richtig, diesen Vorfall vor der UNO zu untersuchen - es geht um Prinzipielles, das alle Staaten einhalten mĂŒssen. Ron Paul hat letzthin gesagt, man stelle sich vor, jemand wĂŒrde die Alaska-Pipeline (im Pazifik von Alaska zum Hauptland der USA) in die Luft sprengen. Wir (die USA) wĂŒrden das als KriegserklĂ€rung betrachten und es hĂ€tte extreme Konsequenzen fĂŒr das Land, das den Terroranschlag verĂŒbt hat.

  • erstaunte

    „
 Doch anstatt diese Informationen weltweit zu teilen, hat Schweden die Ergebnisse seiner Ermittlungen vor dem Rest der Welt geheim gehalten 
“ - Diese Geheimhaltung erinnert arg an China u. Covid (aus dem Labor oder nicht?). SchĂ€dlich. Unrecht. Falsch. Nun ist es d. demokratische Westen: Schweden, DĂ€nemark, Deutschland mit Nordstream 2 (waren es die Amerikaner oder nicht?). War DE etwa mit der Sprengung einverstanden? Denn das hat Herrn Scholz viel Aufruhr u. Demos „Öffne 2!“ erspart