Zu glauben, dass auf politische Spitzenposten nur die Besten rücken dürfen, war schon immer naiv. Das gilt vom Ortsbürgermeister bis zur EU-Kommissions-Chefin.

Und mit jeder Ebene höher, die zu besetzen ist, kommt ein Kriterium dazu, das garantiert nichts mit Qualifikation und Kompetenz zu tun hat. Nein, in Wahrheit geht es darum sogar nie. Worum es geht, ist die Partei an erster Stelle, das Geschlecht an zweiter, dann kommen Herkunft, Verbindungen und Konfession – und dann kommt eigentlich nichts mehr.

Zu bewundern ist dieser Posten-Bazar gerade bei der Vergabe der Spitzenämter nach der Wahl zum EU-Parlament. Auf Ursula von der Leyen als Kommissions-Präsidentin hatten sich mit Olaf Scholz und Emmanuel Macron die beiden Regierungschefs der führenden Länder bereits geeinigt. Und da gegen Deutschland und Frankreich nichts geht, müssen jetzt im Parlament überparteiliche Mehrheiten für sie organsiert werden. Es sieht ganz gut aus, zumal alle – die Linken, die Liberalen und die Grünen – den Atem der Rechten im Nacken spüren und sich dann doch schnell auf von der Leyen als das kleinere Übel einigen können. Am Donnerstag wird über sie und auch die anderen abgestimmt.

Das Gesicht nach aussen soll dann die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas werden, die allerorten wegen ihrer unversöhnlichen Haltung gegenüber Wladimir Putin als «eiserne Lady» Europas bezeichnet wird. Tatsächlich ist es nicht eine Haltungsfrage, sie zur Aussenbeauftragten zu machen, sondern Kallas erfüllt das vorteilhafte Doppelkriterium, liberal und osteuropäisch zu sein. Das könnte ihr zum EU-Spitzenjob verhelfen, da sie es den Verhandlern ermöglicht, die Posten geografisch ausgewogen zu verteilen. Ungarns Regierungschef Viktor Orbán kann dann weniger meckern.

Ratspräsident wird der frühere portugiesische Regierungschef António Costa. Der Sozialist schaffte als Chef einer Minderheitsregierung einen kurz nach der Euro-Krise als unmöglich geltenden Spagat: Er lockerte die Sparzügel, erhöhte Sozialausgaben und öffentliche Investitionen, doch gleichzeitig schaffte er es, die Staatsfinanzen zu konsolidieren. Dann kam ein Korruptionsskandal, und Costa war sein Amt als Ministerpräsident los. Mittlerweile ist er rehabilitiert und damit der ideale Mann, der jetzt von links aufs EU-Spielfeld geschickt wird.

Die Einzige, die noch lautstark schimpft, ist die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, der es nun gerade passiert, dass ihre rechte Partei Fratelli d’Italia ein Superergebnis bei der Europawahl eingefahren hat, was sich aber kein Stück im Personaltableau der EU wiederfindet.

Aus Respekt vor ihren Italienern könne sie dieses Verfahren nicht unterstützen, sagt sie und schmollt, was eine Haltung ist, die am Ende Ursula von der Leyen noch gefährlich werden könnte, weswegen jetzt die Vergabe weiterer Posten an Italiener wahrscheinlich ist. Möglicherweise an Europaminister Raffaele Fitto, der mit dafür verantwortlich ist, dass Italien Europameister beim Abrufen von Geld aus den Corona-Wiederaufbaufonds geworden ist – was unzweifelhaft eine Gabe ist, die überall gebraucht werden kann.

Die 3 Top-Kommentare zu "Von der Leyen, Kallas, Costa: Brüssel gleicht einem Bazar. Die Top-Jobs werden munter verteilt. Wichtig sind Partei, Geschlecht und dann Herkunft, Verbindung und Konfession"
  • elianeab

    Wir haben hier also verschiedene Puppen (Farben, Grösse, Geschlecht ...), aber wer zieht die Fäden ? Wissend, dass die wichtigsten Entscheidungen werden systematisch hinter dem Rücken des Menschen getroffen. "Facta lex inventa fraus".

  • Peter Meier-Schlittler

    Richtig "elianeab", das ist schon lange so und hat auch mit Demokratie nichts zu tun. Die einzigen die das noch nicht gemerkt haben ist die grosse Schafherde. Wenn sie sozialen Verhältnisse sich weiter verschlechtern, könnte sich das ändern, davor fürchten sich unsere "Eliten".

  • Das Schweigen der Handschellen

    Die Einschläge kommen näher