Mit der Hilfe von Erfindern, Ingenieuren, preislichen Anreizen und PR-Kampagnen ist es Israel gelungen, seine Wasserversorgung von den Launen des Klimas zu befreien. «Unsere Wasserversorgung ist jetzt nicht mehr wetterabhängig», sagt Eran Feitelson, Geografieprofessor an der Hebräischen Universität Jerusalem, und spricht von einem «Paradigmenwechsel». Ob es regnet oder nicht, spiele keine Rolle mehr. Israel hat einen Wasserüberschuss, von dem auch die Nachbarn profitieren können.

Das ist um so bemerkenswerter, als Israel erstens in einer semi-ariden Zone liegt. Im Jahr regnet es durchschnittlich an nur fünfzig Tagen. Zweitens macht die Wüste Negev mehr als 60 Prozent des Landes aus.

Aber Dürrekatastrophen, die vor wenigen Jahren noch befürchtet wurden, sind in Israel kein Thema mehr – trotz rasant gestiegener Bevölkerungszahlen, einem stolzen Wirtschaftswachstum sowie einem im Vergleich zu früher deutlich höheren Lebensstandard.

Die Erfahrungen sind auch weltweit von Bedeutung. Nach den Dürrejahren der vergangenen Perioden, so Feitelson, stehe Europa jetzt wie einst Israel vor politisch schwierigen Entscheidungen. Der Wasserverbrauch in der Landwirtschaft müsse reduziert und das Grundwasser geschont werden. Israels Strategien für eine effiziente Wasserpolitik könnten so auch für Europa ein Vorbild sein, kommentiert Feitelson die neuen Erkenntnisse.

 

Tropfen für Tropfen

Die zur Verfügung stehende (knappe) Wassermenge wird in Israel durch eine rekordhohe Quote beim Recycling von Abwasser vergrössert. Mehr als 85 Prozent des Abwassers aus den Haushalten würden gereinigt und rezykliert, sagt der Wissenschaftler Feitelson.

Das zur Wiederverwendung aufbereitete Nass wird überwiegend in der Landwirtschaft eingesetzt. Im Vergleich mit allen andern Industrieländern ist Israel laut Daten der OECD der grösste Nutzer von recyceltem Abwasser für die Landwirtschaft. Insgesamt ist der Anteil der Landwirtschaft am Süsswasserkonsum zwischen 2000 und 2018 von 64 Prozent auf 35 Prozent der gesamten Wasserentnahme des Landes gesunken.

Dadurch entstand allerdings ein neues Problem: die Verschmutzung des Grundwassers mit Nährstoffen, die durch den umfangreichen Einsatz von Düngemitteln in der Landwirtschaft verursacht wird.

Israels Strategie beruht einerseits auf dem Sparen, anderseits auf dem Erschliessen neuer Verfügbarkeiten von Wasser. Auf der Sparseite haben Wasserstrategen einen effizienten Umgang mit dem kostbaren Gut durchgesetzt. Zu den Wegbereitern der Effizienz-Strategie gehört Uri Shani. Bis 2012 hat er in den Jahren der grossen Dürre die staatliche Wasser- und Abwasserbehörde geleitet. Sein Augenmerk galt früh schon der israelischen Landwirtschaft und ihrem gewaltigen Wasserverbrauch. Shani registrierte eine «enorme Verschwendung», weil die Felder oft mit uralten Techniken bewässert wurden. Mehr als 50 Prozent des Wassers gingen dabei verloren, so seine Beobachtungen.

Jetzt hilft der ehemalige Beamte Shani als Unternehmer, den Wasserkonsum der Bauern zu reduzieren. Er baut dabei auf einer Technologie auf, die im Kibbuz Hatzerim entwickelt wurde: auf der Tröpfchenbewässerung. Diese ermöglicht eine gezielte und sparsame Versorgung der Pflanzenwurzeln mit Wasser in kleinen, genau berechneten Mengen. An die 75 Prozent der Felder werden in Israel mit diesem System bewässert. Weltweit nutzen erst 5 Prozent der Landwirte diese sparsame Methode.

Der vernünftige Umgang mit dem blauen Gold setze zudem ein Umdenken voraus, sagen Israels Spar-Gurus. Sie fordern eine digitale Revolution bei den Versorgungsunternehmen. Viele würden ihre Aufgabe immer noch darin sehen, Lecks in den Röhren erst zu stopfen, nachdem Wasser verloren gegangen ist. Dabei wäre es effizienter, gegen Lecks vorzugehen, bevor Wasser sinnlos versickert. Um das zu ermöglichen, setzen israelische Firmen auf Hightech: Die Stichworte sind «Cloud» und «Cyber», «Big Data» und «Algorithmen». Die Zukunft, sagen sie, gehöre dem «smarten Wasser».

 

Die Preise wirken

Noch bevor vom Klimawandel die Rede war, hat Israel darauf geachtet, dass bei der Wasserverteilung möglichst wenig verloren geht. Während die Verlustquote in den meisten Ländern bei über 30 Prozent liegt, beträgt sie in Israel lediglich 7 bis 8 Prozent. Das liegt zum einen an der im Vergleich zu anderen Ländern jungen Infrastruktur. Die massive Reduktion der Verlustquote ist aber vor allem dem Einsatz von Hightech zu verdanken. Sensoren und Cyberinstrumente erkennen entstehende Lecks in der Pipeline, bevor Wasser sinnlos verschwendet wird.

Sensoren im Leitungssystem liefern zum Beispiel die Grundlagen für die Datensammlungen, die in der «Wolke» mit einer speziellen Software analysiert werden, um Unregelmässigkeiten in den Röhren früh zu erkennen. Die Analyse von Datenmustern ermöglicht eine Art vorauseilende Diagnose.

Weil der haushälterische Umgang mit Wasser sozusagen Teil der israelischen DNA sein soll, baut der Staat als weitere Strategie weiterhin auch auf Sparkampagnen. Als vor drei Jahren der scheidende Chef der israelischen Wasserbehörde, Alex Kushnir, das Ende der Wasserkrise in seinem Land verkündete, drehten die Konsumenten prompt wieder den Wasserhahn auf. Kushnirs Nachfolger liess deshalb wieder Werbeserien des Inhalts «Israel trocknet aus» schalten, um – mit Erfolg – den kostspieligen Aufwärtstrend zu brechen.

Zu den Erfolgsfaktoren zählt Feitelson auch, dass der Wasserkonsum gemessen und in Rechnung gestellt wird. Israels Wasserreserven gehören nicht Privaten, sondern dem Staat, und das Wasser ist nicht kostenlos zu haben. Wer exzessiv viel Wasser verbraucht, muss entsprechend tief in die Taschen greifen. «Wir haben den Preis für Konsumenten, die viel Wasser verbrauchen, in die Höhe getrieben», sagt der Geologe. Dass der Preismechanismus funktioniert, zeigt sich eindrücklich in der Statistik: Israels Wasserverbrauch zählt mit 138 Kubikmetern pro Kopf und Jahr (also 138 000 Litern) zu den niedrigsten Werten in den OECD-Mitgliedsländern, wo man im Durchschnitt 691 Kubikmeter pro Kopf und Jahr konsumiert.

Ein wichtiger Faktor, der indessen für ein Binnenland wie die Schweiz nicht in Frage kommt, ist die Ausweitung der verfügbaren Wassermenge durch Entsalzungsanlagen. Das behandelte Meer- und Brackwasser deckt mittlerweile 85 Prozent des Trinkwasserverbrauchs des Landes ab. Und das erst noch zu günstigen Preisen. Vor dreissig Jahren, rechnet Feitelson vor, habe ein Kubikmeter entsalztes Wasser 50 Dollar gekostet, mittlerweile sind es bloss noch 50 US-Cents. Zum anschaulichen Vergleich führt er an: Mineralwasser kostet pro Kubikmeter 200 Dollar.

Die Ausweitung des Wasserangebots durch den Einsatz moderner Umkehrosmose-Technologien und einer verbesserten Verfahrenstechnik wird in einem Bericht der OECD ausdrücklich gelobt. Die fünf Entsalzungsanlagen Israels gehörten «zu den effizientesten der Welt», heisst es dort. Die Entsalzung von Meerwasser habe allerdings negative Auswirkungen auf die Umwelt. Bei der Umkehrosmose entsteht Salzsole, die wieder ins Meer geleitet wird. Die nachteiligen Auswirkungen hängen von der Geschwindigkeit des Wasseraustauschs ab. Im offenen Meer sind sie begrenzt. Nur in geschlossenen Buchten kann er sich stärker auf das Meer auswirken.

Gleichzeitig ist auch der Energiebedarf erheblich, was zu zusätzlichen Treibhausgasemissionen führen kann. «Durch die Zuführung von Wasser zum System kann jedoch mehr Wasser in Flüssen und Seen zurückgehalten werden, was zur Wiederbelebung stark belasteter aquatischer Ökosysteme beiträgt», erklärt Feitelson. Bei der Wiederverwendung verringere sich auch die Versalzung des Bodens im Vergleich zur Bewässerung mit wiederverwendetem Abwasser, das aus Süsswasser stammt, da der Salzgehalt in entsalztem Wasser geringer sei. «Das Bild ist also gemischt», so Feitelsons Fazit.

 

Rettung des Sees Genezareth

Der See Genezareth, Israels wichtigster Wasserspeicher, war bis vor kurzem einer der grössten Problemfälle. Als dessen Wasserstand wiederholt unter die «untere rote Linie» gefallen war und es deshalb gefährlich wurde, dem See Wasser zu entnehmen, herrschte Alarmstimmung im Land. Doch die Krise ist gelöst: Der See Genezareth, der 200 Meter unter dem Meeresspiegel liegt, wird neuerdings mit entsalztem Meerwasser aufgefüllt. Nach «mehreren desaströsen Dürrejahren» wurde entschieden, die 264 Millionen Dollar teure Leitung von den Entsalzungsanlagen an der Küste zum See in Nordisrael zu bauen.

Auf der Grundlage des Überschusses in der Wasserbilanz unterzeichneten Israel und Jordanien im November 2022 die Absichtserklärung für ein «Wasser für Energie»-Geschäft. Israel wird dem chronisch wasserarmen Jordanien 200 Millionen Kubikmeter entsalztes Wasser liefern, während Jordanien im Gegenzug 600 Megawatt Solarenergiekapazitäten baut, deren Energieproduktion nach Israel exportiert werden soll.