Der Kernreaktor hat Eigenschaften, die das Herz jedes Grünen höherschlagen lassen sollten: Er stösst kein CO2 aus. Er ist von Natur aus sicher. Eine Kernschmelze ist ausgeschlossen, weil der Kern im Normalbetrieb schon geschmolzen ist. Er kann nicht «durchgehen» oder explodieren, und er kann radioaktiven Abfall herkömmlicher Reaktoren verbrennen.

Die Rede ist vom Dual-Fluid-Kernreaktor, den Ingenieure in Deutschland erfunden und den ihre Firma dann ins kernkraftfreundlichere Kanada verlagert hat. Der neuartige Reaktor kann emissionsfreien Strom herstellen und die Energiekosten deutlich senken. Der nukleare Abfall, der allein in den deutschen Zwischenlagern steht, kann mit dieser Technologie bei heutigem Verbrauch Deutschland für 350 Jahre mit Strom versorgen, da er als Brennstoff dient.

 

Sicher gegen Lecks

Man weiss also heute schon, welche Probleme das Dual-Fluid-Reaktorprojekt lösen kann. Man weiss um die physikalische Machbarkeit. Bevor aber nicht so ein Reaktor gebaut wurde, ist natürlich nicht genau bekannt, wie gross die Hindernisse sind, die während der Entwicklungsphase auftreten können. Das Haupthindernis ist aus heutiger Sicht das «Genehmigungsrisiko»: Wie lange dauert es, bis die Behörden eines Landes einen solchen Prototyp genehmigen?

Für das Unternehmen Dual-Fuid ist ein klarer Zeitplan bei der Entwicklung des Projekts essenziell, um im Wettlauf der neuen Reaktortechnologien private Investoren zu gewinnen. Deshalb muss der erste Prototyp möglichst bald realisiert werden. Moment, was sind denn genau die Unterschiede zwischen heutigen Kernkraftwerken und dem Dual-Fluid-Reaktor?

In einem herkömmlichen Reaktor wird eine Kettenreaktion energiearmer Neutronen in nuklearen Brennstäben, die mit Urantabletten gefüllt sind, zur Energieerzeugung genutzt. Diese Brennstäbe sind umgeben von Wasser unter dem sehr hohen Druck von über hundert Bar. Solche Reaktoren regulieren ihre Leistung mit beweglichen Steuerstäben. So wird gewährleistet, dass immer nur die gewünschte Neutronenmenge Wärme erzeugt. Wenn dies versagt, wird zu viel Energie frei, und es kann durch unkontrollierte Freisetzung der im Reaktor gespeicherten Energiereserve zum Auslegungsstörfall kommen, das heisst, der Reaktorkern kann schmelzen. Dies ist 1986 in Tschernobyl geschehen. Eine Kernschmelze kann auch geschehen, wenn der Kern nicht in allen Betriebssituationen ausreichend gekühlt werden kann, weil der Notstrom ausfällt. Dies geschah 2011 in Fukushima.

Im Dual-Fluid-Reaktor besteht der Spaltstoff aus einem geschmolzenen Gemisch von spaltbaren Materialien und Chrom, das langsam durch einen Reaktorkern aus Keramik fliesst, der zur Kühlung von flüssigem Blei umspült wird. Der Spaltprozess ist selbstregelnd, ohne Steuerstäbe, allein durch die abgenommene Wärme. Bei Temperaturanstieg verringert sich der Spaltprozess durch die thermische Ausdehnung des Brennstoffs – die Reaktorleistung sinkt. Wird wieder mehr Wärme abgeführt, kühlt sich der Brennstoff ab, und die Leistung steigt.

 

Nicht grösser als ein Auto

Der Dual-Fluid-Reaktor arbeitet im «drucklosen» Zustand. Sein Konstruktionsmaterial muss nicht hundert Bar aushalten, sondern nur den statischen Druck der Flüssigkeiten, unter zehn Bar. Dies vereinfacht die Konstruktion und Fertigung des Reaktors und macht das System sicher gegen Lecks. Der wesentlichste Unterschied zu herkömmlichen Reaktoren besteht darin, dass bei den herkömmlichen ein Vorrat an spaltbarem Material im Kern des Reaktors – ausreichend für ein bis zwei Jahre Stromproduktion – vorgehalten werden muss.

Beim Dual-Fluid-Reaktor hingegen ist stets nur die im Moment zur Energieerzeugung benötigte Brennstoffmenge im Reaktor vorhanden. Er kann demzufolge nicht «durchgehen», höchstens «ausgehen». Wird der Kernbrennstoff zu heiss, schmelzen Sicherungsstopfen, und der flüssige Brennstoff fliesst in Sicherheitsbehälter ab. Dies geschieht rein durch die Schwerkraft ohne Notstrom. Der Reaktor geht aus, und der abgeflossene Brennstoff in den Sicherheitsbehältern kühlt sich durch Wärmeabstrahlung von selbst ab. Die Sicherheitsbehälter sind geometrisch so gestaltet, dass sich keine kritische Masse bilden kann.

Aufgrund seiner extrem hohen Energiedichte ist der Dual-Fluid-Reaktor erheblich kleiner als ein herkömmlicher Reaktor gleicher Leistung. Ein Dual-Fluid-Reaktor ist bei der Tausend-Megawatt-Variante nicht grösser als ein Auto. Dadurch kann er kostengünstig unterirdisch, sicher gegen Flugzeugabstürze und terroristische Angriffe, installiert werden.

 

Warum Ruanda?

Die Regierung Ruandas, vertreten durch die Atomenergiebehörde Rwanda Atomic Energy Board (RAEB) hat am 12. September einen Kooperationsvertrag mit der Dual Fluid Energy Inc. über die Zusammenarbeit bei der Entwicklung eines Dual-Fluid-Demonstrationsreaktors in Ruanda unterzeichnet. Der Demonstrationsreaktor – er ist nicht grösser als eine Waschmaschine – soll bis 2026 betriebsbereit sein, die anschliessende Erprobung der Dual-Fluid-Technologie erfolgt bis 2028.

Da ergibt sich natürlich die Frage: Warum ausgerechnet Ruanda? Der Geschäftsführer der Dual Fluid Energy Inc., Götz Ruprecht, erläuterte in einem Interview mit dem Kontrafunk die Gründe. Er erklärte, dass in Deutschland die Behörden verlernt haben, neue Kerntechnologien zu bewerten und zu genehmigen. Selbst im kernenergiefreundlichen Kanada benötigen solche Genehmigungsprozesse Jahre.

Nach Aussagen der Internationalen Energieagentur ist in Afrika in den nächsten Jahren ein enormer Anstieg des Elektrizitätsbedarfs zu erwarten. Daraus ergibt sich ein Markt, bei dem alle Energieträger – Fossile, Erneuerbare und Kernenergie – eine Rolle spielen werden. Die Energiedichte der Dual-Fluid-Technologie führt zu wirtschaftlichen Vorteilen, die Afrika dringend benötigt. Schon deshalb unterstützen afrikanische Länder die Entwicklung von Technologien mit bezahlbarer, jederzeit verfügbarer Energie. Bei Gesprächen mit verschiedenen afrikanischen Ländern hat sich Ruanda als das am besten geeignete Land herauskristallisiert.

Die ruandische Regierung wird den Standort und die Infrastruktur für das Projekt zur Verfügung stellen, während Dual Fluid für die Finanzierung und technische Umsetzung verantwortlich ist. Darüber hinaus erhalten ruandische Wissenschaftler im Rahmen der Partnerschaft eine praxisnahe Ausbildung im Bereich der Kerntechnik.

Die 2020 gegründete Atomenergiebehörde RAEB fördert die friedliche Nutzung der Kernenergie für eine nachhaltige sozioökonomische Entwicklung Ruandas. RAEB-Geschäftsführer Fidel Ndahayo sagte bei der Unterzeichnung: «Um den wachsenden Energiebedarf der Bevölkerung zu decken, den Industriesektor weiterzuentwickeln und eine klimaresistente Wirtschaft aufzubauen, setzt Ruanda auf Kernenergie als Ergänzung zu seinem bestehenden Energiemix. Wir sind ein ‹Proof-of-Concept›-Land und wollen die Integration innovativer Technologien beschleunigen.» Deshalb gehe Ruanda strategische Partnerschaften mit Start-ups ein, die sich mit der Konzeption und Entwicklung kleiner, modularer Reaktoren befassen. Und er fügte an: «Die Dual-Fluid-Technologie hat Sicherheitseigenschaften, die sie unfallfrei machen. Die Technologie wird relativ geringe Mengen radioaktiver Abfälle erzeugen, die gemäss den bestehenden internationalen Standards für die Entsorgung radioaktiver Abfälle sicher entsorgt werden.»

 

Stabiles Geschäftsumfeld

CEO Götz Ruprecht aus seiner Sicht: «Zeit ist ein kritischer Faktor für uns. Nach Jahren der detaillierten Vorbereitung und Verbesserung des Konzepts sind wir nun überzeugt, den idealen Partner für die erste Umsetzung unserer völlig neuen Technologie gefunden zu haben. Dual Fluid hat sich für eine Investition in Ruanda entschieden, weil das Land ein sehr stabiles und positives Geschäftsumfeld bietet, das bereits grosse internationale Unternehmen angezogen hat.» Der Demonstrationsreaktor werde zeigen, dass eine bessere, wesentlich effizientere Art nuklearer Energiegewinnung möglich und schnell realisierbar sei.

In der Schweiz hat ein Umdenken in Sachen Kernenergie eingesetzt, das Neubauverbot für Kernkraftwerke verliert an Rückhalt. Deutschland hingegen steigt mit deutscher Gründlichkeit aus der Kernkraft aus. Resultat: Strommangel, Auslandabhängigkeit, Höchstpreise. Der Dual-Fluid-Reaktor böte unschlagbar niedrige Stromgestehungskosten und eignete sich seiner hohen Austrittstemperatur wegen auch zur kostengünstigen Herstellung von Wasserstoff und synthetischen Brennstoffen.

Doch ach! Da denkt ein jeder an den totgenehmigten schnellen Brüter in Kalkar und den abgelehnten Transrapid. Kalkar-Reaktoren laufen nun im russischen Bielojarsk, der Transrapid fährt im chinesischen Schanghai. Den Dual-Fluid-Reaktor wird es mit Sicherheit geben, wahrscheinlich bald in Kigali.

 

Liebe Deutsche, sägt nur weiter.
Sie sägten die Äste ab, auf denen sie sassen
Und schrien sich zu ihre Erfahrungen,
Wie man schneller sägen könnte, und fuhren
Mit Krachen in die Tiefe, und die ihnen zusahen,
Schüttelten die Köpfe beim Sägen und
Sägten weiter.
Bertolt Brecht, «Werke, Band 14: Gedichte 4.
Gedichte und Gedichtfragmente 1928–1939»

(Suhrkamp)

 

Manfred Haferburg ist Kernenergetiker und Publizist. Er berät Führungskr.fte in Sicherheitsfragen und hat in mehr als 120 Kernkraftwerken weltweit gearbeitet. Sein Roman «Wohn-Haft» ist im KUUUK Verlag erschienen.

Die 3 Top-Kommentare zu "Kernkraft in Kigali"
  • fmj

    …und unsere radioaktiven Abfälle im Aargau könnten weiter genutzt und dadurch die Radioaktivität in einen ungefährlichen Bereich gesenkt werden. Sie würden uns für die nächsten 200 Jahre Gratisstrom bescheren…

  • karin wicky

    Danke für diesen Beitrag! Wann wird dieser Dual Fluid Reaktor in der Schweiz gebaut? Bei dem internationalem Irrsinn ist Energieatarkie das Gebot der Stunde!

  • werner.widmer

    Autarkie macht unabhängig und das passt nicht ins heutige Narrativ!