Bislang fokussierte die Elektromobilität im Nutzfahrzeugsektor vor allem auf innerstädtische Zulieferung und Letzte-Meile-Lösungen. Dass sich moderne Fahrzeuge aber nicht darauf beschränken müssen, wollte man bei der Thomann Nutzfahrzeuge AG in Schmerikon beweisen. Mit zwei E-Fahrzeugen von Renault Trucks hat man Anfang des Jahres den Test gewagt und das Nordkap als Ziel gesetzt. Die Polarnachtreise bestätigte ganz nebenbei ausserdem, dass sich die E-Mobilität beim Lastwagen ganz eigenen Herausforderungen stellen muss.

Der 6. Januar 2023 wird den vier Thomann-Mitarbeitern lange in Erinnerung bleiben. Mit einem elektrischen Lieferwagen E-Tech Master und einem Elektro-LKW E-Tech D Wide 6x2 haben sie sich rund 4200 Kilometer vom nebligen Schweizer Winter am Hauptsitz in Schmerikon bis hoch in die polare Dunkelheit Norwegens durchgekämpft. Und sie stehen um exakt 9.04 Uhr an diesem ersten Freitag des Jahres mit ihren Fahrzeugen vor dem Nordkap-Monument, am nördlichsten Punkt des europäischen Festlandes. «Ein grossartiges Gefühl», sagt ein begeisterter Erich Hofmann, treibende Kraft hinter dem Abenteuer und Teil der Lastwagenbesatzung. Im LKW sitzt neben Erich Hofmann mit Theo Widmer ein versierter Kilometer-Millionär. Hinter dem Master-Steuer agiert Patrik Morgenthaler, wobei der angehende Automobil-Fachmann vom Thomann-Lehrlingsverantwortlichen Mario Speck sekundiert wird.

Gelungen ist die Fahrt im Rahmen der eNordkapp-Challenge 2022/2023. Dieser «Ausflug» für Elektrofahrzeuge ist eine Schweizer Erfindung und wird von Peer A. Haupt schon seit Jahren durchgeführt. Doch erst heuer waren erstmals auch Nutzfahrzeuge mit von der Partie. Der Start erfolgte im norddeutschen Flensburg, die Strecke führte durch Dänemark nach Norwegen. Nach dem Ziel Nordkap ging es via Finnland, Schweden und Dänemark zurück nach Hamburg. «Mit unserer Teilnahme wollen wir die Kundenwelt für die E-Mobilität begeistern», sagt Firmenchef Luzi Thomann über den Sinn des Abenteuers.

Erich Hofmann, Verkaufsberater bei Thomann, staunt immer wieder darüber, wie viele Kunden noch immer nicht wissen, dass Elektro-LKW keine Science-Fiction sind: «Renault Trucks produziert bereits seit 2019 Elektro-Lastwagen in Serie, gefertigt nach den heute üblichen Standards in Sachen Zuverlässigkeit.» Die eNordkapp-Challenge sieht er als Chance, mehr Aufmerksamkeit für diese Technologie zu bekommen.

Fahren, laden, schlafen, fahren . . .

Dass der Ausdruck «Challenge» nicht zufällig gewählt ist, war Erich Hofmann bewusst. «Unsere Belastbarkeit und Flexibilität werden stark gefordert sein», sagte er vor der Abfahrt. Deshalb liefen die Vorbereitungen auch über rund ein Jahr. Zwei Aspekte waren zentral: zum einen die Eventualitäten des frostigen Wetters. Man wird im hohen Norden nicht nur mit Schnee und Eis konfrontiert, sondern auch mit Temperaturen weit unter minus 20 Grad Celsius und bissigem Wind. Darauf mussten Mannschaft und Fahrzeuge vorbereitet werden. Das Thomann-Team erhielt dafür Unterstützung von Renault Trucks Schweiz AG.

Viele Kunden wissen noch immer nicht, dass Elektro-LKW keine Science-Fiction sind.

Raclette im Laderaum

Zum andern ging es um das Batterielademanagement und die Routenplanung. Übernachtungen und voraussichtliche Ladestopps sollten möglichst gut synchronisiert sein, damit die natürliche Routine dieser Reise – «fahren, laden, fahren, laden, schlafen, fahren . . .» – aufgehen konnte. Dabei muss für Elektroautos und Elektro-Trucks ganz unterschiedlich geplant werden. Das hat mit den Batteriegrössen und deren Systemspannungen zu tun, aber auch mit den Fahrzeugdimensionen. Ans Nordkap hoch wurden die Nutzfahrzeuge deshalb ab Oslo auf einer Inland-Direktverbindung geführt, die Personenwagen hingegen entlang der Atlantikküste.

Wie erwartet, erwies sich das Lademanagement als anspruchsvoll. Während sich der Master E-Tech wie ein PW auch an kleinen Ladepunkten mit Energie versorgen liess, funktionierten viele Fastcharging-Säulen bei der 600-Volt-Traktionsbatterie des Lastwagens oft nicht. «Meist geht es in den Diskussionen um Ladestationen auch nur um die Ladeleistung, aber nicht um die Ladespannung», sagt Erich Hofmann. Das Problem dabei: Moderne LKW-Batterien mit ihren hohen Kapazitäten wollen auch mit mehr Spannung geladen werden. Etliche Fastcharger in Norwegen sind auf rund 500 Volt Spannung begrenzt – zu wenig, um die 600-Volt-LKW-Batterie zu laden.

Dies ist im Vorzeigeland der E-Mobilität auf den ersten Blick verwunderlich. Doch in Norwegen beschränkt sich der Vorsprung fast ausschliesslich auf E-Autos, elektrische Lastwagen sind wie in der Schweiz nur selten gesehen. So sorgt der Renault-Trucks E-Tech zwar für Aufsehen an den Ladesäulen, allerdings sind diese auch selten für die schiere Grösse eines Lastwagens konzipiert. Ein Problem, das auch im übrigen Europa meist ungelöst ist.

Je nördlicher die Fahrzeuge vorstossen, je spärlicher die Besiedlung und damit das allgemeine Ladesäulenangebot ist, desto mehr rückt diese Problematik ins Zentrum. Doch Renault Trucks hat die Ladetechnik seiner E-Tech-Lastwagen nicht auf DC-Fastcharging beschränkt, sondern ermöglicht mit einem Onboard-Ladegerät auch das Wechselstromladen mit einem Typ-2-Stecker. Geladen wird dann zwar im Schneckentempo, doch lässt sich die Batterie immerhin so weit laden, dass damit der nächste taugliche Schnelllader erreicht werden kann. Übrigens mussten die Thomann-Teams die eine oder andere Übernachtung wegen unerwarteter Situationen und defekter Ladesäulen auch mal kurzfristig umbuchen, doch wirklich gezittert haben sie nur, als zum Erreichen des Etappenziels fast das letzte Kilowatt aus den Batterien herausgepresst werden musste.

Je 82 Ladestopps

Das Erlebnis der Reise geht für die vier Thomann-Fahrer weit über das Kernthema Laden hinaus: faszinierende Nordlichter, Elche in tiefverschneiten und vereisten Landschaften im Scheinwerferlicht und die besonderen Lichtverhältnisse bei nur kurzen Abschnitten mit Tageslicht. Dazu kommen Schlafmanko, geschlossene Restaurants, Schritttempo im Schneesturm und Schneeschaufeln am Fahrzeug oder an Ladestationen. Fixpunkte, die das Abenteuer auch noch für die Nachwelt zu einer erzählenswerten Geschichte machen – inbegriffen ist dabei das Belohnungsessen mit Raclette im LKW-Laderaum am Nordkap.

Eine der vielen Erkenntnisse aus der Reise hat mit der Ladeleistung im Zusammenhang von Aussentemperatur und Batteriegrösse zu tun. Mit 264 kWh Kapazität ist die LKW-Batterie sieben Mal grösser als die im Master eingesetzte PW-Batterie. Dank dieser Grösse lässt sich der Akku im Truck kaum von frostigen Temperaturen beeindrucken. Während beim Master und bei den Personenwagen die Ladeleistung bei tiefen Temperaturen markant zurückgehen konnte, veränderte sich sie sich beim LKW nie.

Auf der rund 8200 Kilometer langen Strecke Schmerikon – Nordkap – Schmerikon legten die beiden Nutzfahrzeuge je 82 Ladestopps ein. Der gesamte Stromverbrauch des Lastwagens lag übrigens bei gut 9000 kWh. Ein vergleichbarer Diesel-LKW hätte dazu über 2000 Liter Treibstoff benötigt. Entsprechend wurden fast 5550 Kilogramm CO2 eingespart – und darum geht es doch auch bei der ganzen Frage um die alternativen Antriebe.