An der Wall Street hat kaum eine Branche so viele Rückschläge erlebt wie Wasserstoff. Ein ums andere Mal schwang sich der Energieträger zum gefeierten Liebling der Aktionäre auf, nur um kurz darauf wieder in der Versenkung zu verschwinden. Schon 1997 hiess es im amerikanischen Technologiemagazin Wired: «Nach jahrzehntelangen unerfüllten Versprechungen ist die Dynamik jetzt so gross, dass das Aufkommen von Wasserstoff als vorherrschende Technologie unvermeidlich erscheint.» 26 Jahre später wissen wir: Der Durchbruch ist bis heute nicht gelungen.

Immerhin: Seit US-Präsident Joe Biden mit dem «Inflation Reduction Act» ein rund 370 Milliarden Dollar schweres Förderprogramm für grüne Technologien auf den Weg gebracht hat, sprechen viele Unternehmen von einem Ruck im Markt. Auf dem weltweit grössten Treffen der Energiefirmen, der «Ceraweek» im texanischen Houston, überschlugen sich CEOs, Experten und Lobbyisten dieses Jahr mit Lob für das saubere Gas. John Podesta, langjähriger Politikberater im Weissen Haus, bezeichnete Wasserstoff gar als «Schweizer Sackmesser» der Branche. Eine Allzweckwaffe also, die alle Energieprobleme lösen werde.

Auch an der Börse kehrt der Traum vom «Megatrend Wasserstoff» alle paar Jahre wieder. «Wir sehen das Potenzial für eine Vervierfachung der Industrie bis zum Ende des Jahrzehnts», heisst es etwa in einem Bericht der Investmentbank Goldman Sachs vom Jahresanfang, die den gesamten adressierbaren Markt für Wasserstoffproduktion bis 2050 auf eine Billion Dollar schätzt.

Da ist es kein Wunder, dass Anleger regelmässig Kursfantasien verfallen und rasch den nächsten «Tenbagger» wittern, also Titel mit Verzehnfachungspotenzial. Dass die meisten Firmen milliardenschwere Verluste schreiben, störte bislang wenig. Auch Amazon und Tesla schrieben ja lange rot, bevor sie zu den wertvollsten Konzernen der Welt aufstiegen.

Flaute nach der Corona-Explosion

Doch selbst bei den grössten Befürwortern kehrt mittlerweile Skepsis ein. Trotz allen Versprechen fehlen nachhaltige Erfolge, welche die Bewertungen der Wasserstoffpioniere rechtfertigen würden. Immer wieder schrammen Hoffnungsträger wie Ballard Power Systems, Fuelcell Energy und Plug Power an den ohnehin niedrigen Erwartungen der Analysten vorbei. Nach Kursexplosionen von teilweise über 2000 Prozent im Corona-Jahr 2020 notieren viele Aktien heute auf Mehrjahrestiefs.

Denn auch wenn Regierungen und Unternehmen die Rolle von Wasserstoff für die Energieversorgung der Zukunft betonen: Noch fehlen Kapazitäten und lukrative Aufträge aus der Industrie. Zurzeit sind Wasserstoffaktien damit bestenfalls spekulativ zu bewerten. «Unserer Ansicht nach wird es in absehbarer Zeit nicht zu einer breiten Einführung kommen», schrieben J. P. Morgan-Analysten Mitte Mai. Selbst 2030, heisst es, werde grüner Wasserstoff nur 0,2 Prozent zum weltweiten Energiebedarf beitragen.

Das Risiko für Anleger, auf das falsche Pferd zu setzen, ist damit hoch. Bisher hat sich auch noch kein Unternehmen als Marktführer oder Technologievorreiter hervorgetan. Bislang also gleicht die Branche einem Flickenteppich, der die Konsolidierung vermissen lässt. Gleichzeitig schrumpfen mit jeder Zinserhöhung der Zeithorizont für Übernahmen und die Aussicht auf frisches Kapital.

An den Börsen ist der Megatrend vorerst nur ein laues Lüftchen. Zumindest Goldman Sachs aber stimmt optimistisch: «Viele Projekte, die erst für die zweite Hälfte dieses Jahrzehnts geplant sind, wurden noch nicht offiziell verkündet und sind deshalb nicht in den Kursen eingepreist.» Wer Risiken von Einzelaktien umgehen wolle, setze auf breitgefächerte Wasserstoff-Fonds – die aber selber noch in den Kinderschuhen stecken.

Sabrina Kessler ist Korrespondentin der New York German Press in New York.