In einem Sitzungszimmer des Think-Tanks Avenir Suisse im Zürcher Kreis 5 sitzt Peter Grünenfelder entspannt im weissen Hemd, ohne Veston und bereit, seine Idee einer bürgerlichen Verkehrswende zu erläutern. Grünenfelder war bis Juli 2023 sieben Jahre lang Direktor der Denkfabrik, heute ist er Präsident des Branchenverbandes Auto Schweiz und in dieser Funktion gewissermassen oberster Ansprechpartner für die Anliegen der individuellen Mobilität.

Weltwoche: Peter Grünenfelder, Sie sind seit fast hundert Tagen Präsident von Auto Schweiz: Mit welchem Argument haben Sie den Vorstand der Vereinigung von sich überzeugt?

Peter Grünenfelder: Ich bin dezidiert der Meinung, dass man die wirtschaftliche Bedeutung der individuellen Mobilität in den Mittelpunkt der Diskussion stellen muss. Das wird sträflich vernachlässigt – nicht nur im links-urbanen, sondern auch teilweise im bürgerlichen Lager. Es gibt wohl keine Branche, die so viel Innovationskraft, aber auch Zukunftsglaube hat wie die Automobilindustrie. Meine Absicht ist es, in der neuen Legislatur eine bürgerliche Koalition der Mobilität zu schmieden.

Weltwoche: Warum ist das Auto für die Schweiz so wichtig?

Grünenfelder: Denken Sie nur an die ganze Zulieferindustrie, die Forschung an modernsten Antriebstechnologien, die digitale Erneuerung, neue Produkte bei Autoimporteuren und Garagisten. Und der Schweizer Markt hat eine hohe Wertschöpfung, deshalb spielt es eine Rolle, was hier passiert. Das hat eine enorme wirtschaftliche Bedeutung. Es ist ganz einfach: Ohne Autoindustrie läuft die Wirtschaft nicht.

Weltwoche: Haben Sie als neuer Präsident ein Programm?

Grünenfelder: Die Branche will defossilisieren, das ist auch der Wille der Bevölkerung. Und das bringt man hin, aber nur wenn der politische Rahmen stimmt. Derzeit drohen Technologieverbote und ein einseitiger Fokus auf eine Antriebsform, obwohl etwa die Empa interessante Entwicklungen voranbringt im Bereich der synthetischen Treibstoffe. Kein Schweizer Politiker ist so intelligent, um zu wissen, was die richtige Antriebstechnologie für eine CO2-neutrale Mobilität ist. Ohnehin wird es in Zukunft ein Mix aus verschiedenen Lösungen sein.

Weltwoche: Wo setzen Sie an?

Grünenfelder: Unter anderem bei der Regulierungsdichte. Es gibt neben der Medizinalbranche kaum einen so hochregulierten Sektor wie das Automobilgewerbe. Noch im September wollte die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Ständerats bei den CO2-Zielen für Neuwagen einen kostenintensiven «Swiss Finish» machen und das Reduktionsziel gegenüber den europäischen Ländern deutlich verschärfen. Die Hersteller bauen ja keine Fahrzeuge extra für die Schweiz. Die Politik neigt zu teuren Lösungen, welche die Konsumenten zusätzlich belasten. Da müssen wir dagegenhalten. Mit Lastenvelos lässt sich keine Wertschöpfung erzielen.

«Es ist ganz einfach: Ohne Autoindustrie läuft die Wirtschaft nicht.»Weltwoche: Wie sieht es bei der Infrastruktur aus? Der Bundesrat möchte die A1 ausbauen, Sie vermutlich auch?

Grünenfelder: Links-Grün macht reflexartig Opposition und ergreift das Referendum gegen jeden Ausbau der Infrastruktur. Sie sind die Verfechter des Stillstands. Damit unterminieren sie die wirtschaftliche Fortentwicklung unseres Landes.

Weltwoche: Haben Sie eine Flasche Champagner geöffnet, als Bundesrat Albert Rösti einen Ausbau auf sechs Spuren angekündigt hatte?

Grünenfelder: Schon als Albert Rösti gewählt wurde, habe ich mich gefreut – weil er für Pragmatismus statt Ideologie steht. Ich bin ein Verfechter des Wirtschaftswachstums als Wohlstandsgenerator. Und deshalb ist Bundesrat Rösti eine gute Nachricht.

Weltwoche: Links-Grün behauptet bei jedem Strassenausbau, das bringe mehr Verkehr. Man weiss, dass das nicht stimmt, der Verkehr ist schon da. Warum kommt die Seite mit dem Argument immer noch durch?

Grünenfelder: Für die Abstimmung über den Nationalstrassenausbau bin ich sehr zuversichtlich. Der Verkehr wird nicht weniger. Die Frage ist, wo er durchfliesst. Wenn man die Spuren nicht ausbaut, geht der Verkehr durch Quartierstrassen oder Dörfer. Die Staustunden kosten volkswirtschaftlich mittlerweile mehr als drei Milliarden Franken pro Jahr, das darf man nicht akzeptieren. Stau zerstört ökonomische Substanz in diesem Land.

Weltwoche: Warum hat es politisch das Offensichtliche so schwer?

Grünenfelder: Politische Vernunft ist nicht ökonomische Vernunft und wahrscheinlich auch nicht Verkehrsvernunft. Wenn Links-Grün seine Wähler mobilisieren und bewirtschaften kann, indem es gegen den Autobahnausbau ist, ist das dessen Recht. Zur Politik gehört auch, dass man volkswirtschaftlich schädliche Positionen einnehmen kann. Aber wir haben die besseren Argumente, und es sind so viele Leute betroffen, dass der Ausbau von der Bevölkerungsmehrheit getragen wird.

Weltwoche: Welche anderen Infrastrukturprojekte sind wichtig?

Grünenfelder: Die Ausbaustellen sind ja definiert, wichtig scheint mir aber auch, dass im urbanen Raum vorhandene Infrastruktur nicht künstlich verknappt wird. Tempo 30 auf Transitachsen ist der falsche Weg. Dadurch wird alles teurer, die Logistikketten haben Probleme, die Preise für Produkte steigen. Das Konzept der Autofeindlichkeit müssen wir als untauglich vorführen.

Weltwoche: Individuelle Mobilität ist als Konzept unter Druck. Wie konnten die Bürgerlichen hier die Lufthoheit verlieren?

Grünenfelder: Die Politik ist dazu übergegangen, das individuelle Glück den Bürgerinnen und Bürgern vorschreiben zu wollen. Das Auto steht im Fokus, weil es halt wirklich für individuelle Freiheit steht. In den Städten besteht die Tendenz, dass man gleichzeitig urban sein und zurück ins Grüne will. Wenn man das will, soll man aufs Land ziehen und nicht ganze Strassen zu Spielplätzen umgestalten.

Weltwoche: Liegt das Problem nicht beim fehlenden liberalen Kompass mancher Bürgerlicher?

Grünenfelder: Ich wundere mich auch, wie lange es teilweise geht, bis sich nominell bürgerliche Kantonsregierungen gegen Abbaupläne wehren. Man toleriert zu viel.

Weltwoche: Wenn man das «Big Picture» betrachtet, ist individuelle Freiheit ein unter Druck geratenes Lebenskonzept.

Grünenfelder: Das macht mir Sorgen. Wohlstand haben wir nicht dank Vorschriften erreicht, sondern mit einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Und wir sehen heute eine massive Vervorschriftung unseres individuellen und wirtschaftlichen Lebens. Das fängt bei Menüvorschriften in den Altersheimen an und geht bis zu Leitlinien für Quartiervereine, wie sie ihre Treffpunkte zu gestalten hätten. Das Grundphänomen, und das ist gefährlich, ist ein rasant wachsender öffentlicher Sektor, was laufend das Regulierungsdickicht erhöht. Die am schnellsten wachsende Branche heute ist die staatliche Verwaltung. Diese macht inzwischen einen Viertel aller Anstellungen in der Schweiz aus, schafft aber keine Wertschöpfung.

Weltwoche: Sondern . . .?

Grünenfelder: Beamte sind in der Regel gutausgebildete Leute oft mit Gestaltungswillen, was dann in eine zunehmende Vervorschriftung mündet. Gegen dieses «Big Government» müssen die führenden bürgerlichen Parteien FDP und SVP dezidiert dagegenhalten.

Weltwoche: Als Ökonom: Welche konkreten Folgen haben Parkplatz- und Spurabbau, Tempo-30-Zonen und andere Verkehrseinschränkungen volkswirtschaftlich?

Grünenfelder: Das führt beispielsweise zu längeren Arbeitswegen, teureren Logistikketten und dadurch zu sinkender Produktivität. Wir brauchen aber das Gegenteil. Zum andern sind es konsumentenfeindliche Vorschriften. Städte sind die Wirtschaftszentren. Wenn diesen durch das Abwürgen der Mobilität das Fundament entzogen wird, ist das direkt wohlstandsmindernd. Die achtziger Jahre, als es Zürich wirklich schlecht ging, sind nicht so lange her. Dass es seit den nuller Jahren gut lief, hat nicht mit städtischer Regulierung, sondern mit den übergeordneten nationalen Rahmenbedingungen der bürgerlichen Politik zu tun.

Weltwoche: Zurück zum Verkehr: Die Schweiz übernimmt EU-Normen und verschärft sie im schlimmsten Fall auch noch.

Grünenfelder: Zunächst muss man jede staatliche Regulierung kritisch prüfen, davon bin ich überzeugt. Dann darf es keinen «Swiss Finish» geben. Wenn man weniger reguliert, lässt das Raum für Innovationen – etwa bei den Antriebstechnologien. Wir müssen auf die Erneuerungskraft der Branche setzen und ihr nicht das hinterletzte Detail vorschreiben.

Weltwoche: Welches sind die unsinnigsten Regulierungen?

Grünenfelder: Wir sind zum Beispiel auf einem CO2-Absenkungspfad, der schärfer als alles andere ist und vieles massiv verteuert. Das führt dazu, dass Leute in hügeligen Gebieten sich auch kein leichtes Fahrzeug mit Allradantrieb mehr leisten können. Oft wird Symbolpolitik gemacht, um sein Bekenntnis zur Ökologie darzustellen. Dabei steht ja die Branche hinter der Defossilisierung, bisher wurden weltweit schon 500 Milliarden Euro in dieses Ziel investiert. Man muss die Lösungen den Fachleuten überlassen und nicht politisch vorgeben wollen.

Weltwoche: Wie sind Sie heute zur Arbeit gefahren?

Grünenfelder: Mit dem Auto natürlich. Ich war nicht in der Stadt und kam von ausserhalb. Aber ich bin auch Rennvelofahrer. Wenn ich im Sommer mit der Familie im Emmental bin, mache ich gerne Touren mit meinem besten Freund. Und zur Belohnung gibt es dann am Ende ein kühles Burgdorfer Bier.